Abwertung führt in den Hass
Was geschieht, wenn Menschen andere unausgesetzt auslachen, sie niedermachen, sie abwerten? Nichts Gutes, soviel ist sicher.
Dass man den Krieg Russlands gegen die Ukraine verurteilt, verstehe ich. Ich kann ihm auch nichts abgewinnen. Doch es ist eine Sache, den Krieg zu verurteilen und Russlands Begründungen nicht nachvollziehen zu können — und eine ganz andere Sache ist es, persönlich und ätzend zu werden. Dieser Beitrag bei LinkedIn ist für mich stellvertretend für viele, die ich gelesen habe:
Wir haben es in der Pandemie gesehen, dass Menschen mit abweichender Meinung, Menschen, deren Beweggründe man nicht nachvollziehen konnte, abgewertet wurden. “Covidiot” war da noch eine der milderen Titulierungen.
Und jetzt wieder. Aus Unverständnis wird Abwertung, Häme, Verachtung:
Russia is a pathetic failed state
oder
Russia has shown that they are not only underdeveloped
oder
every country in the world should […] show their disgust
Das sind verbale Fußtritte.
Was sollen die bewirken (außer einer emotionalen Entlastung des Autors)?
Für mich gibt es auf Dauer nur ein Ergebnis: Hass. Wer unausgesetzt herabgesetzt und getreten wird, der entwickelt Hass.
Auf dem Schulhof wird so etwas Mobbing genannt. Dort ist es verpönt. In Social Media jedoch ist es heute der gute Ton? Dass die Welt durch solches Auskotzen besser würde, kann ich mir nicht vorstellen.
Die Literatur und Netflix sind voll von Beispielen, wie es ausgeht, wenn (scheinbar) Schwache niedergemacht und willkürlich behandelt werden. Um zu verstehen, was in Menschen vorgeht, die das erleben, muss man kein Therapeut sein. Ein wenig Introspektion und Empathie reichen aus. Niemand möchte selbst so behandelt werden. Anscheinend ist das aber nicht Grund genug, andere nicht so zu behandeln. Wer sich überlegen fühlt — heute auch: wer sich moralisch auf der rechten Seite wähnt —, scheißt gerne mal auf andere.
Über den Ukraine-Krieg müssen Argumente ausgetauscht werden. Der Krieg muss aufhören. Diplomatie ist gefragt. Abwertungen helfen dabei aber nicht. Sie treiben den Gegner nur in noch größere Entfernung, geradezu in Unerreichbarkeit. Das ist Spaltung. Wieder Spaltung! Dieses Mal auf internationaler Ebene.
Das Ergebnis wird sein: Polarisierung. Polarisierung, die zu Spannungen führt. Spannungen zwischen Staaten, gar zwischen Kontinenten. Das ist das Letzte, was die Menschheit jetzt braucht, wenn sie meint, schon in der Klimakatastrophe zu sein.
Wer jetzt Hass schürt, der leistet der Verfehlung aller Klimaziele Vorschub. Russland mag noch kaputter sein als die USA (lesenswert dazu: The Unwinding: Thirty Years of American Decline). Aber Russland ist ein Ressourcengigant. Den in den Hass zu treiben, ihn zu einer Chinaorientierung zu verurteilen, kann keine Lösung für nichts sein.
Titelbild aus American History X, einem Film über Hass — und wie er überwunden werden kann.