Der Wald wird immer dünner. Das bemerken wir, wenn wir hinter unserem Haus den Berg hoch gehen. Seit Monaten wird dort Holz geschlagen.
Anfangs sah diese Aktivität offiziell aus. An einigen Bäumen war eine Erlaubnis angeschlagen. Doch dann hörte der Holzeinschlag nicht auf. Dafür wurden die Holzfäller quasi unsichtbar. Zu Beginn haben wir mehrere mit Pferden und Lastwagen gesehen. Die gefällten Bäume wurden zerlegt und gestapelt. Doch irgendwann wurden die Leerstellen im Wald nur größer, ohne dass wir Waldarbeiter gesehen hätten. Baumreste liegen nun kreuz und quer. Wie offizielles Fällen sieht das schon lange nicht mehr aus.
Die Holzwilderer sind umgegangen. Die Leute aus dem Dorf in Bulgarien, in dem wir leben, haben sich am Wald gütlich getan. Ohne Genehmigung sind sie losgegangen, um sich Brennholz für den Winter zu holen. Ja, sogar am Rande eines unserer Grundstücke haben wir den Nachbarn mit der Motorsäge erwischt. Er wolle uns doch nur helfen, der Baum sei schon morsch an der Basis, brachte er zur Entschuldigung vor. Gefragt, ob wir diese Hilfe wünschten, hatte er uns aber nicht.
Die Menschen in Bulgarien sind arm, allemal auf dem Lande. Geheizt wird meistens noch mit Holz. Gastleitungen gibt es quasi keine. Die Alternative Strom ist zu teuer. Als dann die offiziellen Holz- und Pellet-Preise im letzten Winter gestiegen sind, haben offensichtlich viele unserer Mitbürger aus Verzweiflung zur Kettensäge gegriffen und ihre Allmende, den Wald, als persönliche Ressource betrachtet.
Auch wenn mir das Ergebnis nicht gefällt — es macht weniger Spaß, im Wald spazieren zu gehen — und ich glaube, dass die Bewohner des Ortes sich mittelfristig damit ein gewaltiges Bein stellen — der Boden hält weniger Wasser, das Mikroklima verändert sich negativ —, so kann ich sie doch verstehen. Das passiert eben, wenn man arm ist. Man muss sich selbst helfen — und zur Not über Gesetze hinwegsetzen.
Für arme Menschen ist ihre Umwelt zunächst einmal eine Ressource, die es auszubeuten gilt. Wer arm ist und heute Holz braucht, macht sich keine Gedanken über langfristige Entwicklungen.
Material wird der Umwelt ohne Rücksicht auf Zukunft und andere entnommen; Müll wird in die Umwelt entsorgt ohne Rücksicht auf Zukunft und andere.
Erst wenn Wohlstand Einzug hält, wächst langsam das Bewusstsein dafür, dass die Umwelt pfleglich behandelt werden sollte. Nachhaltigkeit ist dem Menschen nicht als Reflex eingeboren. Solange er persönliche negative Effekte externalisieren kann, tut er es. “Verbrannte Erde” ist erst ein Problem, wenn man nicht weiterziehen kann. Müll ist erst ein Problem, wenn andere sich gegen ihn wehren oder man selbst daran Schaden nimmt.
Was bedeutet das für den Umweltschutz?
Wem die Umwelt am Herzen liegt, der muss verstehen, dass Armut keinen Umweltschutz kennt. Man muss sich Umweltbewusstsein schlicht leisten können. Und dann braucht Umweltbewusstsein auch noch Zeit zur Entwicklung, wenn man gerade erst der Armut entkommt.
Der beste Umweltschutz beginnt deshalb mit Wohlstandsmehrung. Wenn die Umwelt irgendwo leidet, dann sollte zuerst die Armut der dort lebenden Menschen beseitigt werden.
Wälder werden abgeholzt, Plastiktüten aus dem Fenster geschmissen, uralte Dieselmotoren bis zum Kolbenfresser gefahren, wie Menschen sich mehr Bewusstsein nicht leisten können.
Es mangelt auf der Welt zunächst also nicht an Umweltschutz, sondern an Wohlstand. Die Ungleichheit der Wohlstandsverteilung, die Milliarden Menschen in Armut hält, verhindert, dass der Umwelt in weiten Teilen der Welt geholfen werden kann.
Politik und Gesellschaftsform, die Ungleich fördert oder zumindest nicht schnell und drastisch mildert, indem sie den Wohlstand für Milliarden erhöht, darf sich über Umweltprobleme nicht beklagen. Und was für die Umwelt gilt, gilt fürs Klima ebenso. Das Klimaproblem ist zunächst einmal ein Umweltproblem, das nur zum Teil mit CO2 zu tun hat. Eine Erderwärmung, die auf ausgebeutete Landschaft trifft, wirkt doppelt schwer.
Und wie wird der Wohlstand gefördert? Ein Baustein ist billige Energie. Denn mit Energie können Menschen ihre Kreativität entfalten, um sich ein besseres Leben aufzubauen.
Eine Welt, in der Energie künstlich verteuert wird — auch mit den besten Intentionen — ist also eine Welt, die dem Umweltschutz einen Bärendienst erweist. Hohe Energiepreise halten Menschen in Armut. Arme Menschen haben keinen Kopf für Umweltschutz.
Dass der wilde Holzeinschlag vor unserer Haustür schon bald enden wird, dürfen wir nicht annehmen. Die EU-Politik ist nicht auf preisweitere Energie ausgerichtet. Der Wald bleibt Rohstoff für die Menschen, die sich etwas anderes nicht leisten können.