Lust auf ein Gedankenspiel? Dann stell dir vor, dass die Klimaerwärmung real ist: Gletscher ziehen sich zurück, der Permafrostboden taut auf und die Nordostpassage ist ab und an frei. Ganz zu schweigen von den Wetterextremen, die allerorten für große Schäden sorgen.
Und nun stell dir vor - ich weiß, das ist nicht einfach, aber probier es einmal nur für einen Moment -, stell dir mal vor, die Klimaerwärmung ist nicht menschengemacht; CO2-Ausstoß ist nicht die Ursache. Die Klimaerwärmung passiert einfach so; dass CO2-Werte steigen, ist eine Folge, keine Ursache der Erwärmung.
Keiner weiß, warum das passiert. Wie es eine mittelalterliche Warmzeit auf der Nordhalbkugel gab oder eine kleine Eiszeit anschließend, ohne dass Menschen sie verursacht hätten, so erwärmt sich das Klima nun auch ohne ihren Einfluss.
Wie gesagt: Nimm das nur mal für ein paar Minuten an.
Ok? Hast du dich eingeschwungen auf diese wilde Vorstellung? Dann hier meine Frage:
Was sollten die Menschen jetzt tun? Wie reagieren sie am besten auf diese unverschuldete Klimaerwärmung? Was sind geeignete Maßnahmen? Lokal, regional können die Auswirkungen sehr unterschiedlich sein. Es wird nicht überall einfach nur wärmer. Was wäre die beste Strategie, mit diesen Veränderungen umzugehen?
Wenn dir darauf nicht so schnell Antworten einfallen, dann überlege mal: Wie fühlst du dich damit? Geht es dir besser oder schlechter, wenn die Menschen den Klimawandel nicht verursachen?
Nimm dir einen Moment Zeit, um deine persönlichen Antworten in dir aufsteigenden zu lassen.
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Ich habe dieses Gedankenspiel auch mal gespielt. Wenn du Lust hast, vergleiche deine Antworten mit meinen:
Was fühle ich? Erleichterung. Denn wenn die Menschen, wenn ich nicht „schuld bin“, dann kann ich mich frisch an die Lösung von Problemen machen, wo ich sie sehe. Ich zürne nicht mit den Göttern, die so eine Entwicklung über die Menschheit bringen. Nein, ich bin optimistisch, dass die Menschheit Lösungen für die Klimaveränderung finden wird, wie sie es in ihrer Geschichte bisher immer getan hat.
Als erste Maßnahme fällt mir ein, dass nun Energie billig und in möglichst großer Menge verfügbar gemacht werden sollte. Denn Energie ist das, was für jede Art von Lösung die Voraussetzung ist. Energie ist Wohlstand, Energie ist Wohlstandserhalt im Angesicht von Stressoren. Wie auch immer Lösungen aussehen sollten, von reichlicher und billiger Energie profitieren sie auf jeden Fall.
Als zweite Maßnahme scheint mir eine Besinnung auf sehr unterschiedliche Problemzonen wichtig. Probleme treten lokal oder regional in großer Vielfalt auf. Hier leidet Ackerfläche unter Dürre, dort gibt es Überflutungen, da macht sich der Borkenkäfer breit wegen der Trockenheit usw. usf. Mancherorts steigt das Thermometer nun im Sommer auf 42°, in anderen Gegenden kommt es vermehrt zu Wirbelstürmen oder tiefen Kälteeinbrüchen. Die Welt ist groß und die Auswirkungen des unkontrollierbaren Klimawandels sind sehr, sehr verschieden. Und so sollten auch die Reaktionen verschieden, individuell, lokal/regional angemessen sein, denke ich.
Die dritte Maßnahme leitet sich aus der zweiten ab: Vernetzung. Auch wenn die Probleme lokal verschieden sind und lokal gelöst werden müssen, sollte niemand allein damit stehen. Zeit würde verschwendet, wenn das Lösungsrad immer wieder neu erfunden würde. Deshalb sollten sich die Regionen der Welt zum Austausch darüber zusammenfinden, was funktioniert und was nicht. Voneinander lernen war noch nie so wichtig.
Und schließlich als vierte Maßnahme fällt mir die Dezentralisierung ein. Alles, was zentralisiert ist - Menschen in einer Stadt, Kulturplanzen (oder auch Tiere) in großen Monokulturen, Macht zur Bestimmung von Maßnahmen -, sollte aufgelöst, dezentralisiert werden. Warum? Weil Zentralisiertes die Vielfalt reduziert und einen Angriffspunkt bietet. Wenn die Hitzewelle kommt oder die Permafrostbakterien sich einschleichen oder der Himmel die Pforten öffnet, sind Massenansammlungen von Menschen oder Kulturpflanzen/-tiere exzellente Zielscheiben. Ja, Zentralisierung verspricht Effizienz - doch Effizienz ist angesichts eines Klimawandels von unbekannter Größe und Dauer zweitrangig. Wichtiger ist Flexibilität, Resilienz, Vielfalt.
Findest du meine Überlegungen plausibel? Sie sind bewusst auf sehr hoher Abstraktionsebene angesiedelt. Denn von meinem Lehnstuhl aus kann ich nicht beurteilen, was wo am besten zu tun wäre. Das muss ja gerade lokal/regional entschieden werden. Der Klimagott walzt um den Globus. Ihm kann man sich nicht in den Weg werfen; man kann nur reagieren.
Das Übel kann nicht an der Wurzel gepackt werden. Effekte lassen sich nur lindern. Und wenn die durch menschengemachte Strukturen und Gewohnheiten gesteigert werden, dann müssen diese menschengemachten Strukturen und Gewohnheiten eben geändert werden. Ein triviales Beispiel: Überflutungen werden z.B. durch Flussbegradigungen provoziert; wenn die Gefahr von Überflutungen reduziert werden soll, dann muss man eben die Flussbegradigungen rückbauen, also Flüsse renaturieren.
Das Wetter ist, wie es ist; wenn es regnet, nimmt man einen Schirm mit oder bleibt zuhause. Das ist die angemessene Reaktion. Das Klima ist auch, wie es ist in diesem Gedankenspiel; wenn es heftiger regnet oder Hitzerekorde gebrochen werden, reagiert man, um die Folgen abzumildern. Dezentralisierung reduziert in jedem Fall die Angriffsfläche für Symptome und falsche Entscheidungen.
So, jetzt zum Schluss des Gedankenspiels eine Frage: Wenn du dir deine (oder meine) Reaktionen auf eine nicht menschengemachte Klimaerwärmung anschaust, wer profitiert davon? Kannst du bei den Maßnahmen Akteure erkennen (Menschen, Gruppen, Organisationen, Regionen), die Klimaerwärmungsgewinnler wären? Welche wären das? Was würde ihren Gewinn ausmachen? Und umgekehrt: Wer würde bei diesen Maßnahmen verlieren, “in die Röhre gucken”? Wem würden sie nicht schmecken?
Fertig. Das Gedankenspiel ist vorbei. Du kannst die Vorstellung, die Klimaerwärmung sei nicht menschengemacht, wieder aus deinem Denken streichen. Schüttle dich einmal aus. Trinke ein Glas Wasser. Du hast es geschafft.
Wie war das für dich, so einer Vorstellung für einige Minuten zu folgen? Hat dich das irritiert und angestrengt? Oder war es eine spannende, belebende Erfahrung?
In jedem Fall vielen Dank, dass du dich darauf eingelassen hast. Ich finde, ab und an mal was ganz Verrücktes zu denken, hält jung.