Das Gegenteil von Freiheit ist...
Die Freiheit hat für viele seit einigen Jahren an Bedeutung gewonnen. Sie scheint zunehmend bedroht. Unerwartet braucht es Bekenntnis und Aktivität zu ihrer Stärkung, gar Rettung.
Aber was ist diese Freiheit? Max von Schenkendorf hat es im 19. Jhd. in seinem Lied Freiheit, die ich meine u.a. so formuliert:
Für die Kirchenhallen,
Für der Väter Gruft,
Für die Liebsten fallen,
Wenn die Freiheit ruft.
Das ist rechtes Glühen
Frisch und rosenroth:
Heldenwangen blühen
Schöner auf im Tod.
Können wir Heutigen damit noch etwas anfangen? Kaum. Rico Fritsches Beschreibung klingt so ganz anders:
Unsere Freiheit - das ist sie, unsere erste und unzweideutige Erklärung von Eigentum. Sie zeugt von unserem Besitzrecht an uns selbst, an unserem Denken, unseren Meinungen und unserem Handeln. […]
Die Freiheit ist kein Pfand, sie darf niemals als Währung für politische Zwecke missbraucht werden.
Aber ist das wirklich so diametral entgegengesetzt, wie es scheint? Ich glaube, nein.
Gestern wie heute geht es um dasselbe. Was das ist, finde ich allerdings einfacher zu verstehen über das Gegenteil von Freiheit. Freiheit ist die Abwesenheit von etwas. Sie ist sozusagen “negativ”. “Positiv” ist das, was sie beschränkt, das Anwesende. Solange das vorhanden ist, sind wir nicht frei.
Und was ist das Gegenteil von Freiheit? Es ist nicht Unfreiheit. Mit Unfreiheit wird nur die Abwesenheit von Freiheit betitelt, jedoch nicht definiert, was dann anwesend ist.
Das Gegenteil von Freiheit ist Abhängigkeit.
Abhängigkeit ist greifbar, ist insofern “positiv”. Solange wir abhängig sind, sind wir unfrei. Freiheit ist abwesend, wo Abhängigkeit anwesend ist.
Dabei ist es einerlei, woher die Abhängigkeit kommt. Abhängigkeit kann selbstverschuldet sein. Abhängigkeit kann von anderen auferlegt werden.
Sicher, Menschen sind als Einzelne schwach; sie brauchen die anderen, sind also immer irgendwie von ihnen abhängig. So, wie sie von Atemluft, Wärme, Nahrung abhängig sind.
Dass wir Ressourcen und andere Menschen brauchen, ist jedoch nicht das Problem. Dadurch fühlen wir uns nicht prinzipiell unfrei. Unangenehm werden diese grundlegenden Abhängigkeit erst, wenn wir zusätzlich abhängig von anderen Menschen sind bei unserer Entscheidung, ob und wie wir damit umgehen.
Abhängigkeiten empfinden wir als Einschränkungen unserer Freiheit, wenn sie die Anwendung unserer Fähigkeiten einengen.
Abhängig von Nahrung und ausgestattet mit der Fähigkeit z.B. zum Anbau von Gemüse, ist der frei, der diese Fähigkeit auch zum Einsatz bringen kann. Er mag immer noch Hunger leiden, weil der Gemüseanbau zunächst nicht gelingt wie gewünscht; doch er ist zumindest frei, weitere Wege zur Linderung seiner Not zu erkunden.
Wer hingegen nahrungsabhängig und fähig zum Gemüseanbau durch Eigentumsverhältnisse und Gesetze daran gehindert wird, seine Fähigkeit anzuwenden, der ist unfrei, weil abhängig von sozialen Organen.
Abhängigkeit ist Gefangenschaft.
Einmal in eine Abhängigkeit geraten, sind wir Gefangene. Wir können uns nicht allein daraus befreien — oder zumindest ist das sehr schwer. Das macht ja die Abhängigkeit aus: Wir entscheiden nicht mehr selbst, sondern andere entscheiden über uns.
Das sind meistens andere Menschen, aber manchmal ist es auch unser eigener Körper. Wer süchtig ist, ist nicht mehr Herr seiner selbst. Er hat die Bestimmung seines Verhaltens zu einem guten Teil abgetreten. Ob die Sucht eine Substanzsucht ist oder die Sucht nach Arbeit, Erlebnissen, Waren, ist einerlei. Die Abhängigkeit raubt die Freiheit.
Abhängigkeiten können tausenderlei Formen haben:
Wer meint, seine Bank nicht wechseln zu können, auch wenn die ihm unbequem geworden ist, weil doch dort so viele Daueraufträge, Lastschriften, Geldanlagen und auch persönliche Beziehungen versammelt sind, der ist abhängig und also unfrei.
Wer meint, seinen Arbeitgeber nicht wechseln zu können, auch wenn es dort keinen Spaß mehr macht und das Pendeln nervt, aber die Kollegen so nett sind und die Kantine stimmt und das Geld für die Hypothek wichtig ist, der ist abhängig und also unfrei.
Wer keine Fremdsprache beherrscht, ist abhängig vom Land in dem er lebt und also unfrei, seinen Lebensmittelpunkt zu verlegen.
Abhängigkeiten haben tausenderlei Formen und werden von uns oft leichtfertig oder zumindest unerkannt eingegangen. Wir tappen in eine Falle und machen uns selbst unfrei.
Aber Abhängigkeiten werden uns auch untergeschoben. Wir werden von anderen gefangengenommen, man könnte sogar sagen, versklavt. Das geschieht mehr oder wenig offen. Human farming ist weit verbreitet: Die Nutzung von Menschen als Ressourcen. Nicht nur Tiere werden in Massen gehalten und ausgenutzt.
Ob und wann wir das bemerken, ist eine Sache unserer Sensibilität. Manche Abhängigkeiten stören wenig, manche stören lange nicht, aber dann auf einmal, manche sind für uns offensichtlich und wir nehmen sie nur zähneknirschend hin.
Den Blickwechsel von der Freiheit auf die Abhängigkeit finde ich deshalb interessant, weil Freiheit so schwer zu greifen ist. Freiheit ist diffus. Viel konkreter ist die Abhängigkeit. Wer sich noch nicht frei fühlt, der sollte sich also fragen, wovon er abhängig ist. Damit bekommt er Ansatzpunkte für Veränderungen.
Vor allem aber kann dann Unterstützung gesucht werden. Denn sich allein aus Abhängigkeiten zu entstricken, ist so schwierig wie jeder Gefängnisausbruch. Abhängigkeiten heißen nicht umsonst so.
Was bedeutet dieser Blickwinkel für eines der verheißungsvollen Kennzeichen einer besseren Zukunft: dem bedingungslosen Grundeinkommen?
Das bedingungslose Grundeinkommen soll befreiend wirken. Es soll unabhängig machen von einem konkreten Arbeitsplatz. Niemand soll mehr in Angst vor Arbeitsplatzverlust leben.
Ein schöner Gedanke — doch die Grundeinkommenszahlungen fallen nicht vom Himmel. Sie sind vielmehr das Resultat einer zentral gesteuerten Umverteilung. Sie kommen vom Staat. Mithin ist der Empfänger eines Grundeinkommens mit ihm endlich komplett abhängig vom Staat.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Das Grundeinkommen macht unfrei. Wer sich vom Grundeinkommen abhängig macht, macht sich vom Staat abhängig, d.h. von dessen Wohlwollen. Was die Bedingungen für dieses Wohlwollen sind, steht nicht unter Kontrolle des Grundeinkommenempfängers. Und wie schnell sich staatliches Wohlwollen verändern kann, haben die letzten Jahre deutlich gezeigt.
Wer an Freiheit interessiert ist, der achte also genau auf die eingegangenen Abhängigkeiten. Welche sind vorhanden, welche zeichnen sich ab?