Deutschlanddämmerung
Mich wundert jetzt gar nichts mehr, was in Deutschland passiert. Nachdem ich diese Grafiken gesehen habe, verstehe ich, warum Deutschland nur so kann, wie es tut.
Deutschland ist nicht nur das einwohnerreichste Land Europas, es ist auch das am dichtesten besiedelte und das mit der wohlhabendsten Bevölkerung. Es sticht wahrlich heraus, nicht nur aus der EU. Ein Leuchtturm in Tiefrot: so strahlt es im Herzen des Kontinents.
Wie könnte es da anders sein, als dass Deutschland diese Position zu Kopfe steigt? Deutschland als Powerhouse Europas, Deutschland als Magnet für Menschen aus Nah und Fern.
Ist es insofern nicht ganz natürlich, dass sich “die Deutschen” wünschen, dass an ihrem Deutschen Wesen, auch die Schwächsten noch genesen? Hat Deutschland nicht eine Verantwortung für die Welt? Der Leuchtturm, den alle sehen, muss Vorbild sein. Unbedingt. In Deutschland gilt es deshalb, alles ganz, ganz richtig zu machen.
Das ist geboten — doch leider besonders schwierig in diesem Land, in dem so viele Menschen mit ihren verschiedenen Interessen, gar Kulturen so eng beieinander leben; wo kaum noch Platz ist für andere inklusive der Natur, da darf es ja auch keine Fehltritte geben; die Dinge müssen deshalb gründlich aufgespurt werden. Also muss alles genau geplant und kontrolliert werden. Image und Ordnung dürfen dabei jedoch nicht aus der Balance kommen! Zum Image gehört, dass die Autobahnen Orte fahrvergüngter Freiheit sind; zur Ordnung gehört, dass Spaziergänge nicht uneingeschränkt erlaubt sein können. Zum Image gehört das Exportweltmeistertum; zur Ordnung gehört das Impfweltmeistertum. Zum Image gehört, sich bei Kriegen zurückzuhalten; zur Ordnung gehört, die Grenzen dicht zu machen. Zum Image gehört BER; zur Ordnung gehört die DSGVO.
Nach dieser Grafik verstehe ich auch die uralte Angst der Amerikaner besser, dass Deutschland sich anderen Partnern zuwenden könnte. Alles muss dafür getan werden, dass das nicht passiert: Deutschland darf nicht wollen und/oder Deutschland darf nicht können. Deutschlands Power plus Russlands Ressourcen sind ein no-go; ob dieser Zustand mit Zuckerbrot oder Peitsche erhalten bleibt, ist letztlich egal.
Und so ist Deutschland einerseits der Kraftwerksblock, an den Europa gekettet zu sein scheint — aber andererseits auch seltsam schwach. Rosige Wangen suggerieren Gesundheit — doch innerlich verfällt es. Die Finanzspritzen nach dem heißen Krieg, die good will Spritzen am Ende des kalten Kriegs haben seine natürlichen Kräfte geschwächt; es kann sich nur noch in Abhängigkeit größerer Kräfte denken. Deutschland ist vulnerabel. Infrastrukturen wie Institutionen sind marode. The show still goes on — doch der Krankenschweiß steht dem Akteur schon auf der Stirn. Das Lächeln ist verkrampft; er stolpert mehr, denn dass er springt auf der Weltbühne.
Mir fällt Macbeth ein, wie dort beschrieben ist, dass all das wichtige Tun und Machen letztlich eitel und vergeblich ist:
Life’s but a walking shadow, a poor player
That struts and frets his hour upon the stage
And then is heard no more.
Deutschland war stolz, dann durfte es nicht mehr stolz sein, aber neuerdings kann es doch gar nicht anders, als zu neuem Stolz aufzulaufen: Leuchtturm, Powerhouse, Magnet. Solche Sonderstellung, wie sie die Grafiken präsentieren, tun jedoch keinem Staat gut. Zu wahrer Größe braucht es auch mehr. Deutschland hat die Chance verpasst, die ihm gegeben wurde, sich wirklich neu zu erfinden nach dem 2. Weltkrieg. “Der Muff von Tausend Jahren” steckt nicht mehr unter den Talaren; aber: es ist die Verlustangst, es ist die Zukunftsangst, es ist die Rechthaberei, es ist die Überheblichkeit, die das Land strangulieren.
Das Rot dieses Zentrums Europas ist das Rot eines ausglühenden Feuers. The sun is setting on Germany.