Die Demokratie kennt keine Gewaltenteilung
Die aktuellen Bauernproteste sollen nicht als das genommen werden, was sie sind: eine Demonstration der einzigen Macht, die es in einer Demokratie gibt, der des Wahlvolkes.
Nein, sie müssen über Bande als anti-demokratisch, als zerstörerisch diagnostiziert werden:
“Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfantasien. Extremistische Gruppen formieren sich, völkisch nationalistische Symbole werden offen gezeigt. Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt.”, Robert Habeck
Das Ende soll nah sein, sobald sich der Souverän in größerer Zahl und deutlich kritisch und auf der Straße zeigt. Wer sich organisiert, gar spontan, gar mit “schwerem Gerät”, der provoziert den Untergang der schönen Ordnung.
Ja, die “schöne Ordnung”. Das ist die, die die auf Zeit eingesetzten, stellvertretenden Entscheider, die Regierenden gern beibehalten würden. Sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass ihr Wahlvolk spurt. Es hält den Kopf gesenkt und sagt “Danke!” und “Bitte, hier ist das Geld und unsere Freiheit.”
Doch die Demokratie kennt keine Gewaltenteilung. Die Gewalt ist nicht zwischen Regierung und Volk geteilt. Artikel 20, Abs. 2 des Grundgesetzes beginnt nicht umsonst mit “Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.”
Diese Macht teilt die Demokratie nicht. Sie mag höchstes temporär und bis auf Widerruf an Repräsentanten delegiert werden. Bis auf Widerruf, denn durch Wahlen erfolgt regelmäßig eine erneute Delegation. Doch der Widerruf kann auch ungeplant stattfinde. Abs. 4 gestattet Widerstand: “Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.”
Die Macht bleibt also stets beim Wahlvolk. Und die Bauern demonstrieren genau das. Sie wählen einen Weg außerhalb der Institutionen, weil ihnen “andere Abhilfe nicht möglich” scheint. Lange genug haben sie es anders versucht. Jetzt reicht es ihnen.
Ob sie wirklich schon wahrnehmen, dass “diese Ordnung” ihren Schutz benötigt, sei dahingestellt. In jedem Fall fühlen Sie, dass “diese Ordnung” ihnen und auch den Bürgern zum Schaden gereicht.
Dem verleihen sie noch nicht einmal mit Gewalt Ausdruck. Sie sind friedlich, wenn auch massiv spürbar für Regierung wie Bürger.
Wenn “etwas ins Rutschen geraten ist”, dann auf Seiten der Politik. Und nicht erst seit gestern. Die Bauern wollen sich nicht länger gängeln lassen. Sie wollen nicht länger Spielball sein. Sie wollen stabile Bedingungen, faire Preise und keine Förderung von Zentralisierungstendenzen.
Dass nun gestrichene Subventionen der Tropfen war, der ihr Fass zum Überlaufen gebracht hat, scheint mir zweitrangig. Das letztlich unmenschliche System der primären Nahrungsmittelproduktion (Landwirtschaft) ist größer und drückt die Bauern schon länger. Und auch alle anderen Bürger, die dadurch schlechtere Qualität verzehren als gesund und auch herzustellen möglich wäre.
Im Grunde war ein solcher Protest — aus welchem Anlass auch immer — schon lange überfällig. Eine Gefahr für die Demokratie stellt er nicht dar. Im Gegenteil, er macht deutlich, dass der demokratische Geist in den Bauern lebendig ist.
Was in Gefahr sein mag, ist eine konkrete Regierung oder eine regierende Klasse. Auch das ist gut so und demokratisch.
Keine demokratische Regierung soll sich je ihrer Sache sicher sein. Stets soll sie sich rechenschaftspflichtig fühlen. Stets soll sie das Gefühl haben, kritisch beäugt zu werden. Auf eine “Vierte Gewalt” darf sich dabei kein Bürger verlassen. Es gibt keine Gewaltenteilung in der Demokratie, auch in dieser Hinsicht nicht.
Die Demokratie ist wohlauf, solange Bürger kritisch sind und das auch demonstrieren. Jederzeit. An jedem Ort. Auf den “Wahlurnenauftrieb” muss kein Demokrat warten. Seine Stimme kann er jederzeit den Repräsentanten entziehen: durch Plakate auf einer Demonstration oder sogar durch eine Abstimmung mit den Füßen, indem er Staat und Regierung, der ihm nicht mehr taugen, hinter sich lässt.
Still sitzen, aushalten, abwarten, zahlen und freundlich sein: das sind keine Tugenden für Demokraten. Ob das Regierenden taugt oder nicht, hat keine Relevanz für die Demokratie. Sie kennt nur eine Gewalt, eine Macht: die der Bürger, die zusammenstehen.