Die Maßnahme als Symbol 2.0
Es ist wieder soweit: der Aktionismus regiert. In Berlin geht es nicht darum, das Wurzelproblem zu lösen, sondern das Volk mit symbolischen Maßnahmen in Angst und Vertrauen zu halten. Angst vor dem Feind: gestern ein Virus, heute ein Russe. Und Vertrauen in eine fürsorgliche Regierung, die alles, alles in ihrer Macht stehende tut — um bei ihrer Ideologie zu bleiben; die wichtiger ist, als die praktische Versorgung ihres Souveräns.
Die Gesellschaft soll sich warm anziehen:
Räume, in denen man sich nicht regelmässig aufhalte, etwa Flure und Foyers, sollten nicht mehr geheizt werden – ausser, es gebe dafür sicherheitstechnische Anforderungen. Für öffentliche Einrichtungen und Bürogebäude solle das in Verordnungen geregelt werden. Auch in einer Ausweitung von Home-Office und Betriebsferien im Block sieht Habeck einen wichtigen Beitrag.
Ich kenne das übrigens aus Bulgarien. Hier sitzen viele Menschen in sehr einfachen Büros und haben stets ihre Jacke an. Wohlige Gemütlichkeit deutscher Beamtenstuben, gar überheizte Unterrichtsräume in Schulen, wie ich sie aus meiner Schulzeit erinnere, sind in Bulgarien fremd.
Willkommen, Deutschland, im neuen Normal, das für andere schon lange Alltag ist. Ein Ruck soll durch Deutschland gehen, ein “Ostruck”.
Nur noch am unmittelbaren Arbeits- bzw. Lebensort soll vernünftig geheizt werden. Alle Räume, die zum Transit gehören, sollen kühl bleiben. Ein kaltes Bad scheint die Regierung nun auch zu empfehlen — aber wahrscheinlich nicht zur Stärkung des Immunsystems. Das würde ja gegen die Impfkampagne laufen, die ab Herbst wieder an den Start geht.
«Alle haben den Ernst der Lage erkannt. Kommunen reduzieren die Temperatur in Freibädern und Hallenbädern, öffentliche Gebäude sollen weniger beheizt werden, die Heizungen auszutauschen, steht auf dem Zettel», sagte Habeck. Die Summe aller Beiträge werde helfen, «damit wir durch diesen Winter kommen und auf den nächsten vorbereitet sind».
Auf jeden Fall sollte sich niemand einer Illusion hingeben: die kalten Verhältnisse sind gekommen, um zu bleiben. Die Bundesregierung führt einen kalten Krieg der neuen Art. Der soll dauern; das weiß man wohl schon. Es geht um Ganze, vor allem ums Prinzip.
Warum sind die Maßnahmen denn aber nur symbolisch? Eine andere Erklärung erkenne ich nicht, wenn ich mir den Gasverbrauch über Verbrauchergruppen hinweg anschaue:
Um wieviel Einsparung bei welchen Verbrauchsgruppen geht es?
Die Industrie ist der größte Verbraucher. Im Artikel wird keine Einsparung dort genannt.
Haushalte sind der zweitgrößte Verbraucher. Sollen sie sparen? Nicht mehr direkt, wie es scheint: “Mieter sollen andererseits von der Verpflichtung befreit werden, in ihrer Wohnung eine bestimmte Mindesttemperatur aufrechtzuerhalten.” Also keine Pflicht mehr, bei 18° im Wohnzimmer zu bibbern, während draußen leise der Schnee rieselt. Dennoch nehme ich mal an, dass Haushalte es schaffen — aus Solidarität mit der Ukraine! — ihren Verbrauch um 10% zu reduzieren.
Soll die Stromversorgung beim Gas sparen? Nein.
Gewerbe, Handel und Dienstleistungen — und ich zähle mal Büros im Allgemeinen dazu —, die sollen Flure und Foyers weniger heizen. In der Behörde heißt es einmal mehr, sich warm anzuziehen, wenn man mit Staatsdienern zu tun hat. Auch hier nehme ich mal an, dass 10% Verbrauchsreduktion möglich sind.
Fernwärme wird für Haushalte und öffentliche Einrichtungen genutzt. Ich denke, auch Schwimmbäder fallen darunter. Deshalb nehme ich an, dass 10% ebenfalls hier eingespart werden.
Meine Annahmen sind natürlich pauschal und aus dem Ärmel. Einsparungen könnten auch hier und da höher oder geringer ausfallen. Mir gehts aber nicht um die konkreten Prozentsätze, sondern die Mathematik dahinter:
In drei Bereichen nehme ich Einsparungen von 10% an. Wie groß wären die Einsparungen dann insgesamt beim Gasverbrauch?
30%
18,3%
5%
Nein, sie sind nicht 30%, wie man reflexartig und regierungsvertrauend annehmen könnte. Die 10% Einsparungen bei den Verbrauchsgruppen lassen sich nicht einfach addieren. Warum das denn nicht? Weil sie sich nicht auf denselben Anteil am Gasverbrauch beziehen!
Die Ausgangswerte sind laut statista diese:
Wenn ich auf die die Einsparungen anrechne:
Dann ergeben sich pro Verbraucher in drei Fällen Reduktionen:
Auch wenn drei Mal 10% eingespart werden, sind es insgesamt nur magere 5%.
Ja, nur 5% Einsparung!
All der Wirbel, all die Verordnungen, das ganze Gürtel-enger-schnallen-Maßnahmenpaket führt also nur zu einer marginalen Reduktion des Gesamtverbrauchs. Viele müssen darben und in Unsicherheit leben, ohne, dass sich wirklich etwas entscheidend am Verbrauch ändern würde.
Das nenne ich eine symbolische Maßnahme. Jetzt in der Version 2.0, weil sie das fortsetzt, was Maske und Lockdowns bei COVID-19 in Version 1.0 an die Bevölkerung geliefert hatten.
Die Regierung kommt aus der “Symbolpolitik” nicht heraus. Sie sieht sich gezwungen, Zeichen zu setzen und eine Atmosphäre der Angst herzustellen. In Unternehmen wird das gern “sense of urgency” genannt, um Veränderungen voranzutreiben.
Nichts anderes kann ich mir bei der Regierung vorstellen. Sie will Veränderungen und zwar dalli. Also muss bei 83 Millionen zack-zack ein “sense of urgency” induziert werden.