Die neue Gier
Informationen sind so leicht zugänglich wie nie zuvor. Mussten wir noch vor zwei Jahrzehnten in die Buchhandlung fahren und uns für ein bis zwei Fachbücher entscheiden oder auf die nächste Ausgabe der Fachzeitschrift einen Monat warten, können wir heute nicht nur zu jeder Zeit, sondern auch auf eine wesentlich größere Auswahl zugreifen.
Stolpere ich über ein Thema, kann ich mir alle Informationen in Windeseile zusammensammeln. Die Ausgangslage scheint gut, um neues Wissen zu erlangen. Zu jeder Zeit!
Nur habe ich nicht das Gefühl, dass uns das etwas nutzt. Wir haben einen schnellen Zugriff auf alle möglichen Informationen in unterschiedlichen Formen. Führt die Vielzahl und der leichte schnelle Zugriff möglicherweise dazu, dass keine Zeit mehr zum Reflektieren bleibt?
Das Internet ist demnach so etwas wie ein riesiger Baumarkt für Wissen. Egal, was ich wissen möchte, ich werde Informationen finden. Und sollte ich sie nicht kostenfrei finden, habe ich zumindest die Möglichkeit, Bücher zu bestellen und am Folgetage nutzen zu können (oder auch unmittelbar, wenn ich es als E-Book erhalte).
Dies bedeutet, dass ich zu jedem erdenklichen Thema, ein intensives Selbststudium betreiben kann.
Die Voraussetzungen für viel Wissen sind besser denn je.
Trotzdem scheint es so, dass gleichzeitig Anleitungen, Tutorials und Online Coachings boomen wie nie zuvor. Dies begrüße ich grundsätzlich. Coaches, mit Erfahrung, die selbst schon viele echte Projekte gerockt haben, und gerne ihr Wissen teilen: Echt top! Sie sind die beste Voraussetzung, damit motivierter Nachwuchs von den Erfahrungen echter Experten profitieren können.
Aber so ist der Markt nun mal leider nicht. Es ist eine extrem aggressive Generation von Propagandisten herangewachsen, die das Online Business dominieren und eigentlich nur abkassieren wollen. Ich meine damit vor allem die Coaches der Coaches. Also die, die allesamt dasselbe nervige Verkaufsprozedere abfahren. Sie propagieren die Implementierung der immer gleichen Methodik bzw. Prozesse für eine Heerschar gleichartiger Coaches am Fließband. Ihnen geht es um Skalierung und Marketing, weniger um Inhalte. Individualität ist ihnen fremd. Die bringt nämlich auch keinen Umsatz.
In den sozialen Medien tummeln sich inzwischen Scharen dieser “Coachmacher” und bieten kostenlose Erstgespräche an. Dafür darf sich der zukünftige Kunde gnädigerweise bewerben. Der Wahnsinn! Der Zahlende bewirbt sich dafür, einen Batzen Geld loszuwerden, um am Ende einen Prozess an die Hand zu bekommen, mit dem er brav tagtäglich sein Business von der Stange machen kann.
In diesen Erstgesprächen sitzen natürlich nicht die Gurus selbst, sondern erstmal Assistenten, die sondieren, ob es überhaupt etwas zu holen gibt.
Die Fragen sind immer dieselben:
Wieviel Zeit hast du wöchentlich zur Verfügung, um mit uns zu arbeiten?
Wieviel Geld bist du bereit, in die Hand zu nehmen, um das “Projekt” umzusetzen?
In diesen vollkommen einseitigen Erstgesprächen gibt es für den Kunden keine einzige verwertbare fachliche Information. Nichts Neues. Kein Wissen. Auch keinen Proof der Expertise des selbsternannten Experten. Auf Nachfrage vielleicht ein paar Links zu YouTube Videos.
Natürlich spricht man im Erstgespräch auch nicht mit Fachleuten, sondern mit Verkäufern, die nur eines wollen: Eine standardisierte und vollkommen überteuerte Leistung zu verkaufen.
Achso, und gezahlt wird auch nicht bei Erfolg oder erbrachter Dienstleistung, was in allen anderen Dienstleistungsbereichen üblich, sondern sofort.
Mein Eindruck: Sie können tausende Male behaupten, es würde in den Beratungen um dich und deinen Erfolg gehen. Ich glaube es nicht. Es geht um Kohle. Nicht mehr und nicht weniger.
Wenn ein und dasselbe System immer wieder unverändert verkauft wird, dann skaliert das Business. Keine Frage. Das bringt auch ordentlich Umsatz. Es produziert aber auch leider nur Standard und keine Individualität. Mit dieser Kritik können diese “Coachmacher”selbstverständlich gut umgehen.
Ihre Gegenfrage: “Willst du Kohle machen, oder etwas Besonderes? Mache genau das, was wir dir sagen, dann wird es auch funktionieren.”
Die meisten sind damit eingeschüchtert und machen brav weiter nach Plan. Erinnert mich an Schule.
Genau genommen sind es Marketing-Schulungen, die den sogenannten Druckverkauf vermitteln. Diesen soll der vom Super-Coach geschulte Coach dann selbstverständlich auch praktizieren. Denn es ist das System, welches zumindest einen bestimmten Zeitraum funktionieren wird. Bis es durchschaut wurde. Wie bei all diesen Systemen, die von der Gutgläubigkeit der anderen profitieren.
Ich erinnere nochmals daran, dass jede Art von Wissen für jeden von uns frei verfügbar ist. Man muss nur den Hintern hoch bekommen und selbst aktiv werden.
Ich spreche nicht gegen Coaches, ich bin selbst einer. Ganz im Gegenteil. Gute Coaches sind wichtig, aber nur wenn die Wissensvermittlung Substanz hat und nicht dem Prinzip Fließband folgt. Coaches können motivieren und unterstützen und sollten stets individuell auf ihre Klienten eingehen, aber keinesfalls ein fixes unterveränderliches Muster überstülpen.
Mir scheint allerdings, als würde es inzwischen nur noch um Profitmaximierung gehen und die Individualität dieser zum Opfer fallen.
Das Prinzip, was ich im Druckverkauf der besagten “Coachmacher” entdecken konnte, ist:
Fette Summe kassieren
ein Teil der Teilnehmer wird das Handtuch werfen und nicht durchhalten, weil der Druck zu groß ist oder sie bemerken, dass sie danach exakt wie alle anderen nach Schema F agieren
Diejenigen mit mehr Erfolg durch das System werden um Referenz gebeten, damit das Spiel weiterläuft
Meines Erachtens nach vermitteln diese Agenturen kaum echtes Wissen, maximal Hilfe zur Selbsthilfe für sehr viel Geld. Nichts, was man nicht selbst tun und nachlesen könnte. Der Bedarf scheint dafür da zu sein, in einer Welt der Verunsicherten, in der sich der Großteil die selbstverständlichsten Dinge nicht selbst zutraut und die Autorisierung durch Dritte braucht.
Vielleicht ist es auch Bequemlichkeit, weil man mehr Geld will ohne sich selbst die Mühe machen zu wollen, den Weg zu finden. Dann lieber den vorgegebenen gehen, der den Erfolg verspricht, zumindest dann, wenn man nicht abweicht.
All das ist ein Spiegelbild der gesamten Gesellschaft.
Diese Macher neuer Coaches von der Stange scheinen die Staubsaugerverkäufer oder Versicherungsvertreter von heute zu sein. Abschluss um jeden Preis. Nur, dass sie ein Vielfaches des Umsatzes durch die scheinbar unendliche Reichweite des Internets machen.