Die Demokratie muss geschützt werden?
Es sieht so aus, als ginge es der Demokratie in Deutschland oder auch andernorts schlecht. Sie wird belagert, sie steht unter Beschuss durch Menschen, die sie offensichtlich nicht verstanden haben. Oder? Denn warum würden sich Menschen sonst scheinbar weniger Demokratie wünschen und mehr… ja, was eigentlich? Autokratie, Diktatur, Faschismus? Oder wissen die augenscheinlichen Gegner der Demokratie gar nicht, was sie sich wünschen, Hauptsache es ist eine Alternative?
In jedem Fall braucht die Demokratie jetzt Hilfe. Oder? Sie muss doch gegen ihre Gegner im eigenen Land verteidigt werden. Die besten Waffen dafür sollen Einschnitte und Verbote sein: klare Grenzen bei der Meinungsäußerung, klare Absage an demokratiefeindliche Parteien. Reduktion ist angezeigt! Allerdings: Es ist eine Reduktion dessen, was Demokratie ausmacht, das helfen soll, die Demokratie zu schützen.
Im Land der Diversität und Inklusion geht die Vorstellung um, dass Einheitsmeinung und Exklusion die Demokratie retten werden.
Was für ein Trugschluss! Denn genau damit wird die Demokratie gefährdet. Keine extremen Meinungsäußerungen, keine alternativen Parteien bringen sie ins Wanken. Sie sind vielmehr Zeichen einer gesunden Demokratie, die sich durch Vielfalt, gar Kontroverse auszeichnet.
Wo das jedoch nicht begriffen und ausgehalten wird, wo darauf mit einem immer enger geschnürten Korsett und Verboten reagiert wird, dort ist wahrlich Gefahr im Verzug für die Demokratie.
Allerdings sind das nur Endzustände der Demokratie, die schon viel früher auf die schiefe Bahn geraten ist. Denn die Frage muss ja lauten: Wie konnte es so weit kommen?
Wie konnte es so weit kommen, dass die freie Meinungsäußerung immer polarisierender, populistischer, gar hasserfüllter wird?
Warum suchen die Menschen verzweifelt und in wachsender Zahl nach alternativen Parteien, von denen sie sich eine bessere Repräsentation versprechen?
Was fehlt Menschen, die auf diese Entwicklungen nur mit Gegenpropaganda, Einschüchterungen und Verboten reagieren können?
Für mich ist die Diagnose klar:
Die Demokratie in Deutschland ist selbstvergessen.
Der Duden zu Selbstvergessenheit: “so in Gedanken versunken, dass jemand die Umwelt gar nicht wahrnimmt”.
Deutschland war und ist “in Gedanken versunken”. Über Großes wird gesonnen. Die Welt will bewegt werden. Und es gilt ja auch viel zu bewältigen. Außerdem brennt es ständig irgendwo. Ganz zu schweigen davon, dass die Komplexität der Welt ständig zunimmt. Das Programm für eine demokratische Wahlperiode ist also voll gepackt mit Dringendem, das der vollen Aufmerksamkeit bedarf.
Was bleibt da noch für die Demokratie, oder besser: die Voraussetzungen von Demokratie?
Was sind diese Voraussetzungen überhaupt? Mir fallen zum Beispiel diese ein:
Bildung
Entwicklungschancen
Bildung
Meinungsfreiheit
Gleichheit
Bildung
Selbstverantwortung
Freiheit
Meinungsfreiheit
Rechtstransparenz
Gleichheit
Rechtssicherheit
Bildung
Freiheit
Entwicklungschancen
Selbstverantwortung
Meinungsfreiheit
Bildung
Versammlungsfreiheit
Warum sind manche Voraussetzungen mehrfach genannt? Weil sie so wichtig sind.
Vielleicht bin ich naiv, doch meine Vorstellung ist diese:
Grundlage für ein demokratisches Miteinander ist Bildung. Die Menschen müssen verstehen, “wie die Welt funktioniert”. Sie müssen wissen, sie müssen sich Wissen aneignen können, sie müssen sich Wissen aneignen wollen. Nur wissende Menschen können gute Entscheidungen treffen.
Außerdem dient Bildung dem kritischen Denken. Das ist für den Erhalt der Demokratie in einem Prozess des Austauschs unterschiedlicher Ansichten essenziell.Und was soll das ganze Wissen? Es soll voran bringen. Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden können. Deshalb braucht es Entwicklungschancen für jeden, egal, wie der Ausgangspunkt ist. Dann sind Menschen konzentriert auf die Verbesserung ihrer Situation; dafür sind sie bereit, zu investieren. Für sich und ihre Lieben sind sie hochkreativ, wenn sie eine Chance auf Verbesserung ihres Loses sehen.
Entwicklungschancen gibt es nur, wenn es grundlegende Gleichheit der Menschen gibt. Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichheit im Umgang miteinander. Das bedeutet natürlich nicht, dass alle dasselbe Vermögen haben oder dasselbe können. Doch jedem steht es eben offen, sich von dort, wer er steht woanders hin zu bewegen. Es wird niemand wegen eines heutigen Seins ein anderes verwehrt.
Jeder kann und darf — aber keiner wird getragen. Entwicklung findet mit allen Konsequenzen in Selbstverantwortung statt. Eigenständigkeit statt Fürsorge. Niemand muss irgendetwas, nur bekommt auch niemand etwas für nichts. Eine Gemeinschaft lebt vom motivierten Beitrag jedes einzelnen. Carry your own weight ist die Grundlage. (Was nicht heißt, dass in Notfällen nicht geholfen werden soll.)
Selbstverantwortung braucht Freiheit. Freiheit ist die Abwesenheit von Abhängigkeit. Nur, wo keine Abhängigkeiten, also Zwänge herrschen, können Menschen aus sich heraus und für sich entscheiden, also von Demokratie profitieren. Geistige und finanzielle und emotionale Unabhängigkeit sind die Pfeiler, auf denen Demokratie ruht. Will sie sich nicht in Schieflage bringen, muss sie Tendenzen ihrer Bürger widerstehen, Freiheit und Selbstverantwortung gegen Bequemlichkeit und Sicherheit einzutauschen.
Wohin sich jeder wie in Freiheit entwickeln kann, muss klar erkennbar sein. Deshalb braucht es Rechtsttransparenz: Jeder Bürger muss verstehen, was für Möglichkeiten und Grenzen existieren, welche Konsequenzen sein handeln haben kann.
Und dann muss es natürlich auch Rechtssicherheit gegeben sein. Denn wenn man sich aufs Recht verlässt in selbstverantwortlicher Entwicklung, muss es halten, was es versprochen hat.
Bildung und Selbstverantwortung wollen sich ausdrücken in Wort und Tat, um die eigene Situation zu verbessern. Bei allem Willen zu Gleichheit und Entwicklungschancen werden die motivierten Bürger jedoch immer auch wieder an Grenzen stoßen. Die wollen sie weiten, um mehr für sich zu erreichen. Dafür brauchen sie Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit. Denn nur so, können sich die gebildeten Selbstverantwortlichen austauschen und nach besseren Wegen für die Gemeinschaft suchen.
Das sind für mich Voraussetzungen für Demokratie, unverbrüchliche obendrein. An ihrer Entwicklung und ihrem Erhalt muss Demokratie (bzw. ein demokratischer Staat) stetig und zu allererst arbeiten. Hierhin müssen Aufmerksamkeit und Investitionen fließen. Sie bedürfen einer kontinuierlichen Qualitätskontrolle.
Alle anderen Probleme sind sekundär. Denn alle anderen Probleme werden verschärft oder treten sogar erst auf, wenn es an diesen Voraussetzungen mangelt.
Währenddessen in Deutschland…? Selbstvergessenheit. Deutschland hat diese Voraussetzungen aus dem Blick verloren. Die Demokratie hat sich der Bedingungen für ihre fortgeführte Möglichkeit durch Vernachlässigung entledigt.
Mein persönliches Ranking für diese Voraussetzungen sieht so aus:
Bildung: ★★☆☆☆
Entwicklungschancen: ★★★☆☆
Gleichheit: ★★★☆☆
Selbstverantwortung: ★☆☆☆☆
Freiheit: ★★☆☆☆
Rechtstransparenz: ★★☆☆☆
Rechtssicherheit: ★★☆☆☆
Meinungsfreiheit: ★★★☆☆
Versammlungsfreiheit: ★★★★☆
Mein Bild von Deutschland ist also nicht rosig:
Selbstverantwortung wird besonders klein geschrieben. Der ursprünglich demokratische Staat ist zum Fürsorger geworden. In zentralistischem Stil wird in alle Lebensbereiche regelnd eingegriffen, damit es ja niemandem zu schlecht geht — insbesondere nicht denen, die laut schreien und/oder eine Lobby haben. Daraus folgt eine Regelungsdickicht, das nicht mehr zu durchschauen ist und im Zweifel kein absehbares Ergebnis liefert.
Von der Selbstverantwortung enthoben werden Entwicklungschancen, die noch vorhanden sind, nicht wahrgenommen. Der Bürger lässt sich in eine Hängematte aus Abhängigkeiten fallen — er gibt seine Freiheit auf, wo sie ihm nicht genommen wird.
Da von der Fürsorge bekommt, wer besonders am Staat zieht, wächst die Ungleichheit.
Und da Bildung keinen Fürsprecher hat, bleibt sie auf der Strecke. Bildung kostet Regierungen in ihrer Legislaturperiode nur etwas, ohne ihnen einen Erfolg zu bescheren. Fürsorge zu zeigen, ist einträglicher.
Und so erodiert die Fähigkeit zur Bildung einer eigenen Meinung, die Bürger auch noch äußern wollen würden. Stattdessen achten sie lieber auf die Meinung anderer und die, die sie am wenigsten anecken lässt. Denn wer unfrei (geworden) ist, möchte seine Abhängigkeitsverhältnisse nicht stören. Besser unterm Radar bleiben. Sicher ist in diesem Fall auch die Forderung, nach einem allgemeinem “safe space”, in dem man anderen Meinungen am besten nicht einmal mehr ausgesetzt wird.
Wer unfähig zur freien Bildung einer eigenen Meinung geworden ist, will sich nicht verstören lassen. Und wer ohnehin “bildungsfern” fürsorglich auf Schienen der Abhängigkeit gesetzt ist, glaubt auch nicht mehr, dass andere Meinungen der Gesellschaft zuträglich sein könnten.
Ja, die Demokratie ist in Gefahr. Nur geht die nicht von extremen Meinungen aus, sondern von einer breiten Mangelbildung. Es fehlt an Wissen, an historischem Wissen, und an kritischem Denken.
Und wenn dann Mangelbildung in abhängigen Verhältnissen vorherrscht, kommt es zu Polarisierung. Wenn sich Ohnmacht und Mangelbildung vereinen, hat die Demokratie sich ihr eigenes Fundament zerstört.
Das scheint mir der grimme Zustand in Deutschland. Die Demokratie muss vor sich selbst, vor ihrer realen Ausprägung geschützt werden. Ihre gegenwärtige Existenz hat versagt.
Wenn man Hans Hermann Hoppe liest (z. Bsp. "Democracy The God That Failed") kommt man möglicherweise zum Schluss, dass es die logische Weiterentwicklung ist: Spaltung, Chaos, Gewalt und die Lösung liegt natürlich in mehr Staat. Mehr 'Schutzmaßnahmen', mehr Gesetze um 'die Demokratie zu bewahren'.