Do It Yourself.
Einige von euch erinnern sich vielleicht noch an den Begriff VEB im real existierenden Sozialismus. VEB steht für Volkseigener Betrieb. Diese volkseigenen Betriebe waren ein Garant für Mangel und Rationierung, schufen aber auf der anderen Seite ausreichend Arbeitsplätze für die sozialistische Gesellschaft.
Nicht die Nachfrage bestimmte den Markt in der Deutschen Demokratischen Republik -ja, auch dieses Land hielt sich für demokratisch-, sondern der Mangel schuf den Bedarf. Man nahm gerne das, was da war.
Ich erlebte meine Kindheit und einen Teil meiner Jugend in der DDR. Es war eine erfüllte Kindheit, weil ich das Gefühl des Mangels wirklich spürte. Ich hungerte nicht, hatte Freunde, war viel draußen, schrieb Romane und Gedichte, musizierte und trieb viel Sport. Kaufrausch und Konsum war kein Bestandteil meines Lebens. Ich kannte das nicht. Es gab kaum Werbung, die Menschen irgendwelche Bedürfnisse suggerierte, die sie gar nicht hatten.
In meinen Erinnerungen erscheint mir dieses Land nicht grau, so wie es die Medien im Nachgang gerne zeichnen. Ich erinnere mich an schöne, lange und sehr heiße Sommer in den Achtzigern, die ich an der Ostsee und auch auf dem Land bei meinen Großeltern verbrachte. Die Wiesen waren grün, Kühe weideten, das Wasser im Fluss plätscherte vor sich hin und der Himmel war blau.
Ich war ein Junge, der heranwuchs, von der fernen Ländern träumte, der seine Gedanken niederschrieb und viel Zeit draußen verbrachte. Zum Glück gab es keine virtuellen Welten, die andere gebaut hatten und mir echte Lebenszeit raubte. Wir bauten unsere Welt selbst. Nicht virtuell, sondern mit der eigenen Vorstellung und Händen. Wir lebten einfach im Hier und Jetzt.
Ich verbrachte mit meinem Bruder den Sommer bei meinen Großeltern auf dem Lande. Der Sommer war heiß, sehr heiß und trocken. Heute würde man die Menschen mit Klima-Propaganda verrückt machen, sie ermahnen und maßregeln. Damals schien es zwar auch besonders, aber die einen freuten sich über Sonne und Ferien, während sich die Bauern wegen der Trockenheit um ihre Ernte sorgten.
Es war irgendwann in den Achtzigern. Wir hatten Ferien. Ich muss wohl 12, 13 oder 14 gewesen sein. Ein Freund aus dem Dorf, mein Bruder und schauten oft gemeinsam das Ferienprogramm, was jeden Nachmittag lief und einen Film zeigte. Es war neben dem Mittagessen die einzige Zeit, die wir drin verbrachten. Ansonsten waren wir am Fluss, im Wald, spielten Fußball, fuhren Fahrrad, wanderten und entdeckten unsere kleine Welt. Es war nie langweilig und dies ohne Dauer-TV-Bestrahlung, Spielekonsolen und Computer. Auch brauchten wir keine Erwachsenen, die uns irgendwie bespaßten. Nein, wir beschäftigten uns selbst, was uns ermöglichte, der Fantasie freien Lauf zu lassen.
Jedenfalls hatten wir die “Die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn” gesehen und waren von der Idee begeistert, ein Floß zu haben. Doch woher? Die Option, die Eltern zu überreden, mit uns im SUV zu einem Laden zu fahren und ein Boot, welches irgendwo in Asien möglicherweise von anderen Kindern hergestellt wurde, zu kaufen, bestand nicht. Sie war schlichtweg nicht vorhanden, auch nicht in unseren Köpfen. Für uns war klar: Wir müssen uns eins bauen. Aus heutiger Sicht betrachtet, scheint das wie etwas, was Menschen in Therapien und Kursen erst wieder erlernen müssen. Etwas selbst zu machen! Do it yourself!
Wir hatten das Floß im Film gesehen und hatten eine Idee, wie unseres aussehen müsste und entwickelten einen Bauplan im Kopf. Wir durchstöberten die Gegend nach brauchbarem Material, sammelten Holz und leere Plastik-Behälter, die uns über Wasser halten sollten. Nach zwei Tagen hatten wir ein funktionsfähiges Floss, was uns drei auf dem Wasser tragen konnte. So konnten wir den Fluss hinunter treiben, wo das Wasser tief genug war. Und uns mit den selbstgebauten Paddel wieder ein Stück aufwärts bewegen.
Das ist natürlich nur ein Beispiel von vielen, wie ein Wunsch bzw. eine Idee mit Kreativität durch das eigene Handeln zur Realität werden kann. Der Kontext ist in meinem Beispiel kindlich und spielerisch. Die Botschaft dabei ist allerdings, dass es überhaupt keine Rolle spielt, dass unser Floss weit von Perfektion entfernt war. Entscheidend ist, dass wir unsere Idee selbst in die Tat umgesetzt haben. Der Entstehungsprozess war spannend und praktisches Lernen. In einer Welt, die nur aus Konsum fertiger Dinge besteht, bleibt kaum Raum zum Ausprobieren. Es scheint keine Zeit zu geben, den Entstehungsprozess zu erleben. Ich habe den Eindruck, die gesellschaftliche Maxime besteht darin, mit allem möglichst schnell und ohne Aufwand fertig sein zu wollen oder zu müssen. Darauf werden wir programmiert. Alles soll möglichst effizient sein: “Nimm doch gleich das Fertige. Das gibt es doch zu kaufen, dann bist du schnell fertig.” Wozu? Was, wenn ich das gar nicht will? Wenn ich gerne probieren möchte und selbst erfahren möchte, wie es funktioniert?
Effizienz ist aus meiner Sicht ein Anti-Lebensmuster. Ich denke, wir sind nicht auf dieser Welt, um stumpf fertige Dinge zu konsumieren, Zeit einzusparen, aber paradoxerweise viel Zeit aufwenden, um Geld zu sparen. All das sind Dinge, die uns tatsächlich echte Lebenszeit rauben. Wir müssen das Verhältnis zur Zeit, was unsere Gesellschaft prägt, hinterfragen.
Wir sind auf dieser Erde, um zu erfahren, zu probieren, neugierig zu sein und dazu zu lernen. Lernen ist nichts, was wir einmal tun, sondern ein lebenslanger Prozess. Konsum fertiger Dinge verführt uns zu Passivität und Trägheit, was uns abstumpfen lässt. Die Kreativität und der Wunsch zu entdecken, zu erfahren und selbst zu erleben, verblasst unter bunt blinkenden Versprechen billiger Plastik und der Indoktrination von angeblichen Wünschen, die uns eigentlich nur zu unselbstständigen Konsumenten machen sollen. Wir sollten uns also von der merkwürdigen Idee lösen, dass wir fertig werden müssten. Es gibt kein fertig, weil der Zyklus von Tag und Nacht kein Ende kennt.
Ich glaube, dieser Text braucht noch eine Art Disclaimer.
Ich wünsche mir keine Mangelwirtschaft oder gar den real existierenden Sozialismus zurück, wenngleich es mir vorkommt, dass die Sozialisten in der Einheitspartei in Ampelfarben genau wieder dahin steuert. Auch wenn die Betriebe sich nicht mehr volkseigen schimpfen, haben Großkonzerne Parallelen zu den Betrieben in der DDR. Sie sind unbeweglich und sorgen unabhängig von Leistungen für viele Arbeitsplätze, die oft wie Beschäftigungstherapien wirken.
Die Großkonzerne, die heute existieren, weißen zwar einige Parallelen zu den volkseigenen Betrieben auf, weil sie - anders als Unternehmen von echten Unternehmern mit Gesicht- nicht Gefahr laufen, pleite zu gehen, egal wie sie wirtschaften oder ob sie wettbewerbsfähig sind. Der Staat wird sie im Irrglauben, dass sie systemrelevant seien, irgendwie auffangen und die Gelder der Steuerzahler dafür missbrauchen.
In jedem Falle ist Do it yourself unabhängig von dem System, in dem wir leben. Es geht um das Bewusstsein, welche Rolle jeder Einzelne von uns auf der Welt spielt und das Leben immer endlich ist. Im Dschungel von Fake, Manipulation und Propaganda müssen wir wieder erlernen, zu uns selbst zu finden und zu erkennen, dass jeder Tag im Leben wertvoll ist und dass die Zeit, die wir brauchen, um Erfahrungen zu machen, zu lernen, zu gewinnen oder zu scheitern, essenzieller Bestandteil des Lebens ist, aber eben nicht der bloße Konsum indoktrinierter Wünsche und Produkte.