Die Unvermeidbarkeiten des Kapitalismus
Kapitalismus braucht Konsum. Nur Konsum ist prinzipiell grenzenlos. Er braucht keine Notwendigkeit “aus der Sache heraus”, sondern lediglich ein diffuses Bedürfnis, um Geld gegen Ware oder Dienstleistung zu tauschen.
Konsum findet aber nur statt, wenn man sich nicht selbst mit dem versorgen kann, dessen man Bedarf. Deshalb ist im Kapitalismus die Eigentumslosigkeit wichtig — ausgenommen für die Kapitalisten.
Und wo es noch Eigentum gibt, muss die Freude am Eigentum verkürzt werden. Deshalb muss der Kapitalismus Moden fördern.
Um Moden fördern zu können, muss der Kapitalismus die Menschen Propaganda aussetzen, die ihnen einredet, dass eine Eigentumsüberholung schon bald angezeigt sei.
Am besten lassen sich Menschen beeinflussen, wenn sie “auf einem Haufen” erreichbar sind. Deshalb braucht der Kapitalismus Massenmedien.
Und deshalb fördert der Kapitalismus auch die Urbanisierung, die Metropolisierung der Welt. Mehr als 77% der Deutschen (57% der Weltbevölkerung) leben inzwischen in Städten.
Städte haben darüber hinaus den Vorteil, den Menschen keine Möglichkeit zur Selbstversorgung zu lassen. Konsum ist in der Stadt unvermeidbar.
Dennoch, in der Stadt gibt es noch einen konsumfreien Rückzugsraum: die gemietet Wohnung. Dort kann der Stadtbewohner noch selbst kochen und sich mit Freunden zu geringen Kosten treffen. Deshalb treibt der Kapitalismus die Menschen an, ihr Heim zu verlassen und auf Reisen zu gehen. Tourismus steigert den Konsum. Im Urlaub gibt es keinen Konsumrückzugsraum mehr.
Auch mit der Familie kann der Kapitalismus nichts anfangen. In ihr sind Beziehungen zwischen Menschen konsumarm. Eine Familie kann eine Einheit bilden, die sich selbst versorgt: mit Nähe, durch geteilte Ressourcen, in Unterhaltungen. Deshalb sucht der Kapitalismus Wege zur Vereinzelung der Menschen. Die Angriffsfläche für Konsum-Propaganda steigt dann enorm.
Und schließlich ist der Einzelne auch empfänglicher für den ultimativen Konsummotivator: die Angst. Der Kapitalismus lebt von der Angst, also einer mehr oder weniger eingebildeten Furcht. Allemal die Angst vor Ausschluss aus der Masse treibt die Menschen im Kapitalismus. Alle wollen dazu gehören — und gleichzeitig nicht als Individuen untergehen. Eine Spannung entsteht, die kaum auszuhalten ist. Das Ergebnis: mehr Konsum, der die Spannung betäuben soll.
Eigentumslosigkeit, Moden, Propaganda, Städte, Vereinzelung, Angst: all das ist unvermeidbar im, nein, von Nöten für den Kapitalismus. Er dreht sich in einer positiven Rückkopplungsschleife, bis er den Einzelnen oder am Ende sich zerstört. Denn der Ausstieg steht unter Strafe, der Strafe der ungeschützten Konfrontation dessen, was im Konsumhamsterrad stets auf Abstand gehalten wurde. Sich dem zu stellen kostet Mut und Kraft. Wer würde die aufbringen wollen, wenn die Alternative so so einfach zu haben ist? Nein, keine rote Pille!