Folge deinem Weg
Am Ende ist nicht entscheidend, was andere von uns wollen, sondern was wir zulassen. Ob im Großen oder Kleinen: Menschen, Institutionen, Organisationen oder Gemeinschaften neigen oft dazu, mehr zu nehmen, wenn sie keinen Widerstand wahrnehmen. Ich halte diese Aussage bewusst sehr allgemein, denn dies ist auf alle Lebensbereiche anwendbar.
Das kann beispielsweise ein Partner oder Freund sein, der die Gutmütigkeit des anderen permanent zu seinen Gunsten ausnutzt. Es beginnt mit kleinen Gefälligkeiten, bald sind es größere Forderungen. Meist ist dies ein schleichender Prozess und die Nettigkeiten werden zur Selbstverständlichkeit. Dabei muss nicht zwingend sein, dass der Forderende dies aus Berechnung tut. Oft sind es Gewohnheit und Bequemlichkeit gepaart mit fehlender Reflexion über das eigene Verhalten. Menschen brauchen Routine, was Veränderungen erschwert, weil bekannte Muster weichen müssten. Deswegen verharren wir manchmal in einer suboptimalen Umgebung, ohne sie zu verlassen, weil wir fürchten, da draußen könnte es vielleicht unbequemer werden. Wir alle kennen den plakativen Spruch: “Mal die Komfortzone zu verlassen.”
Ich habe schon des Öfteren bemerkt, dass Veränderungen im Kopf, bevor man sie angeht, oft größer und problematischer scheinen, als sie in der Tat sind, wenn man sie anpackt. Das hängt oftmals damit zusammen, dass man Angst vor dem Verlust von Gewohntem hat, dabei allerdings schnell übersieht, dass eine geschlossene Tür meist drei neue öffnet (eine meiner Lieblingsmetapher).
Als ich vor einigen Jahren als CEO eines Softwareunternehmens agierte, musste ich jeden Tag Entscheidungen treffen. Das war mitunter gar nicht so leicht, weil ich nicht der einzige Betroffene einer Fehlentscheidung gewesen wäre, sondern natürlich genauso meine Mitarbeiter. Dennoch musste ich Entscheidungen treffen, was auch bedeuten konnte, einen Auftrag abzulehnen, weil wir beispielsweise nicht über ausreichend Ressourcen verfügt oder das Budget des Kunden zu gering war. Oft hatten wir zu viele Projekte parallel und wussten nicht genau, wann wir sie fertig bekommen würden, um neue Aufträge annehmen zu können. Kunden in dieser Branche planen nur selten langfristig, sodass sie meist die Vorstellung haben, dass beauftragte Unternehmen würde am besten gestern mit dem Projekt starten. Selbst mit einem Vorlauf von zwei Wochen war es aber oft zu riskant, einen neuen Auftrag anzunehmen. So drohte oftmals nach der enormen Arbeitslast für alle, ein großes Loch ohne Aufträge zu folgen. So fühlte es sich zumindest oft an, wenn man ein paar Projekte nicht annehmen konnte und dann die Angst im Kopf wuchs, dass es vielleicht keine coolen Aufgaben mehr geben könnte, wenn die Ressourcen frei werden würden. Das passiert aber nie.
Ich erinnere mich an einen Freitagabend, an dem zwei große Projekte fertiggestellt wurden und noch kein neuer Auftrag anstand. Es war ein komisches Gefühl, weil wir Montag keine bezahlte Arbeit hatten. Was nun? Bekannte Kunde hatten zwar signalisiert, etwas in der Pipeline zu haben, waren aber noch nicht so weit. Mitarbeiter werden dann nach paar Tagen nervös, wenn kein Projekt da ist. Dafür gab es nüchtern betrachtet keinen Grund. Wir hatten gut gewirtschaftet. Die Angst vor dem Nichts entsteht im Kopf. Vielleicht kommt man sich unnütz vor, wenn man nichts gegen Bezahlung leisten darf.
Es ist eine Konditionierung, dass wir viel zu oft unseren Wert über die (bezahlte) Arbeit definieren. In unserer Gesellschaft ist derjenige etwas, der einen gut vergüteten, sicheren Job hat. Alle Ausbildungsetappen im Leben verfolgen dieses Ziel. Der kreative Musiker oder Maler, der sich treiben lässt und seiner Muse folgt, wird so lange als “Lebenskünstler” und Spinner gesehen, bis sich finanzieller Erfolg einstellt. Wir messen alles Mögliche daran, wie gut wir damit sind, Geld gegen Zeit zu tauschen und kaum daran, ob wir tatsächlich “Werte” schaffen. Alles muss messbar sein: in Zeit und Geld. Darauf werden wir getrimmt. Und zwar so lange, bis sich alles andere fremd und falsch anfühlt.
Wir können uns sehr schwer dagegen erwehren, weil die Gesellschaft keine Gnade in ihrer kollektiven Wahrnehmung kennt. Du kannst als Musiker ein tolles Album aufnehmen, all deine Kreativität und deine Gefühle hinein packen. Zeigst du es stolz Verwandten oder Bekannten, kommt nicht selten die für sie alles entscheidende Frage: “Verdienst du denn auch Geld damit?”
Antwortest du mit JA, sehen sie dich als Rockstar. Sagst du hingegen NEIN, dann bist du der Trottel und Träumer, der irgendwann hinten runterfallen wird. Sie sehen dich schon unter der Brücke schlafen oder bei Aldi an der Kasse sitzen. Alles, was sie (die meisten - nicht alle!) darüber denken, hat nichts mit deinem Werk und deiner Qualität als Künstler zu tun, sondern mit dem daraus resultierenden finanziellen Erfolg. Das Maß aller Dinge ist Geld. Ein virtuelles Medium, welches nur einen Stellenwert hat, weil 98 % der Menschen daran glauben.
Natürlich benötigen wir ein Medium, über welches wir den Wert unserer Leistungen definieren und andere Leistungen honorieren können. Dennoch sollte es nicht der einzige Wert sein, über den wir uns am Ende noch selbst identifizieren und andere beurteilen. Wertschätzung muss an anderer Stelle beginnen.
Entgegen gut gemeinter Ratschläge habe ich mich meist für meine Träume und Wünsche entschieden. Fernab von den Vorstellungen anderer: “das macht man so”, “aber du kannst ja erst mal einen normalen Beruf erlernen, bevor du Musik machst”, “du brauchst auch erst mal einen Abschluss in der Tasche”, “deine Songs kannst auch später noch schreiben”, “kannst du überhaupt IT, du bist doch kein Informatiker”, "eine Firma zu haben, ist nicht einfach, frag mal Max Muster" usw.
Und es war richtig, auf mich selbst zu hören und dem eigenen Weg zu folgen. Kreativität und Träume lassen sich nicht aufschieben. Sie wollen gepackt und gelebt werden. Gesellschaftliche Normen oder die Vorstellungen anderer vom Leben können warten. Oder man ignoriert sie gleich ganz. Das Leben ist kurz, um nur das zu tun, was in tief eingetretenen Pfaden andere schon tausend Mal gemacht haben.
Alles, was man macht, hängt am Ende davon ab, ob man sich das verkorkste auf Geld und Identitätsbildung über die vergütete Arbeitsstelle Wertesystem einlässt oder nicht. Die eigenen Werte, Wünsche und Träume zu vertreten, fällt zugegebenermaßen oft schwer, wenn alle herum ein- und festgefahren sind. Aber es sollte einen niemals davon abhalten, sich selbst zu verwirklichen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Das Leben hält viel mehr Wege bereit, als sie dir die ganze Zeit in Schule, Studium und Ausbildung erzählen wollen. Und diese Strecken sind deutlich bunter und spannender.