Ideologietreue hinderlich
Manche wundern sich über „Kehrwendungen“ oder „Meineide“ oder Lügen von Politikern:
Ich wundere mich nicht mehr.
Verwundert muss sein, für den das Verhalten eines Politikers nicht zum Bild passt, dass er vom Politiker oder dessen Berufsstand hat. Wie kann es sein, dass er z.B. „die Freiheit” verrät? Sollte er nicht zu der Ideologie stehen, deren Begründer und Vertreter er mit Bildern in seinem Arbeitszimmer geehrt hat?
Ich halte das inzwischen für ein Missverständnis. Natürlich sind Integrität und Treue zu einer Ideologie wünschenswert - aus Sicht derjenigen, die sich dem Politiker anvertraut haben mit ihren Hoffnungen, die ihn mit ihren Stimmen unterstützen.
Aber Politik ist auch nur ein ökonomisches Unterfangen. Wer damit seinen Lebensunterhalt verdienen will, wer womöglich darin sichtbar erfolgreich, gar mächtig werden will… der muss schauen, was ihm am besten dient. Persönlicher Erfolg ist eine Funktion des politikinternen Wertesystems. Erfolg als Politiker auch in einer Demokratie ist nur marginal und sporadisch vom Wählergunst abhängig.
Politik ist ein Turnier: Es treten viele an, aber gewinnen kann nur einer. Das politische System, jede Partei ist als Hierarchie organisiert. Wer darin etwas bewegen will, muss möglichst weit oben stehen.
Der Weg nach oben hat jedoch nichts mit der Lösung von Problemen für Bürger/Wähler zu tun. Innerhalb des politischen Systems gelten eigene Regeln. Wer es nach oben schaffen will in dem Glauben, dort mehr bewegen zu können, muss sich darauf einlassen - und lässt Ebene für Ebene die er aufsteigt, mehr von dem zurück, worum es ursprünglich ging. Sachprobleme und Ideologie werden zur Nebensache.
In der Lokalpolitik wird der Politiker vielleicht noch daran gemessen, was er dem Bürger für Vorteile verschafft, auch und besonders natürlich dem Bauunternehmer oder sonstigen lokalen Arbeitsplatzplatzhirsch. Die vertretene Ideologie hilft, Sympathien einzuwerben.
Auf den politischen Ebenen darüber jedoch... da kann es nicht mehr um Effekte für Bürger gehen. Der Bürger ist ja da nicht mehr ausschlaggebend für den Posten. Der hängt vom parteiinternen Markt ab: auf dem sucht Oben sich immer wieder bei Unten Unterstützer und Nachfolger aus.
Auch, wer noch etwas für Bürger bewegen will, muss sich diesem Markt anpassen.
Machtwille - auch wenn ursprünglich erwachsen aus einem guten Zweck - kennt keinen Herren. „Ok, ich verzichte auf Einfluss, damit ich meiner Ideologie treu bin.“ mag ehrenhaft sein, führt aber nicht weit. Von solchen Politikern hört man bald nichts mehr.
Insofern mutieren Politiker früher oder später zu Schauspielern. Sie spielen, was persönlich weiterhilft. Da muss man die Rollen nehmen, wie sie angeboten werden.
Festhalten an einer Sache, an einem bürgerspürbaren Ergebnis, auch an einer Ideologie, ist hinderlich auf dem Weg nach oben. Auch die Wahrheit spielt nur eine untergeordnete Rolle. Der heutige Bundesgesundheitsminister Lauterbach sagt es selbst:
“Kehrtwendungen” oder “Verrat an der Ideologie”, für die ein Politiker oder eine Partei zu stehen schien, sollten also nicht verwundern. Gesagt und getan wird, was zum Erfolg und “Sachzwang” innerhalb des politischen Systems gehört.
#politik