Impfpflicht ohne Fundament
Bevor verfassungsrechtlich erörtert wird, sollte das Problem in soliden Rohdaten für jeden einfach nachvollziehbar gemacht werden
Ein Text, der die drohende Impfpflicht kritisch aus verfassungsrechtlicher Sicht beurteilt: Allgemeine Impfpflicht – ein kleiner Piks, ein großes verfassungsrechtliches Problem
Ich stimme natürlich dem Fazit zu:
“Impfpflichten sind verfassungsrechtlich nur in engen Grenzen zulässig. In der aktuellen Situation werden diese engen Grenzen verfehlt.
In der öffentlichen Diskussion ist immer wieder zu hören, dass jegliches Verständnis für die Gründe fehle, sich nicht impfen zu lassen. Eine solche Haltung ist als individuelle Meinungsäußerung hinzunehmen, wenn auch ein kommunikatives Problem. Dem Grundrechtsschutz darf sie jedoch nicht zugrunde liegen.”
Würde ich noch in Deutschland leben, würde ich auch die Petition gegen die Impfpflicht zeichnen.
Allerdings habe ich bei Lektüre des Artikels etwas vermisst: die Forderung einer soliden Datenbasis, die die Behauptung hinter der Impfpflicht überhaupt erst einmal plausibel macht.
Die Prüfung der Impfpflicht findet aus drei Perspektiven statt:
“[Es] ist eine klassische Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen. Die mit einer Impfpflicht verfolgten Ziele sind offensichtlich legitim: Gesundheitsschutz (früher auch „Volksgesundheit“ genannt) sowie insbesondere der Schutz vor einer Überlastung der Gesundheitssysteme. Zu erörtern ist also, ob die Impfpflicht zur Verfolgung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist.”
Erforderlichkeit
Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit wird vermutet, dass weniger als eine Impfpflicht nicht zur gewünschten Impfquote führen könnte:
“Da alle bisherigen Maßnahmen – von Werbekampagnen, niedrigschwelligen Impfangeboten über negative Anreize, die Ungeimpfte von weiten Bereichen des öffentlichen Lebens ausschließen und deren Leben erheblich erschweren – nicht ausgereicht haben, um eine höhere Impfquote zu erreichen, ist kein milderes Mittel ersichtlich. Auch die Erforderlichkeit ist der Impfpflicht zu attestieren.”
Das mag sein - doch ist eine bestimmte Impfquote erforderlich? Darüber wird nicht diskutiert. Für mich wäre das jedoch die erste Frage! Denn wenn eine Impfquote nicht erforderlich wäre, um das Ziel - welches? - zu erreichen, sondern “nur” eine Immunquote, die womöglich schon erreicht ist oder sich eben auch ohne Impfung erreichen ließe, wäre eine Impfpflicht gänzlich unnötig.
Die Erforderlichkeit einer Impfpflicht kann sich also nicht aus einer Impfquote ergeben, sondern nur aus etwas, das wiederum dahinter liegt, einem Wurzelproblem. Nur wenn es für das keine andere Lösung gibt, kann Impfpflicht erforderlich sein.
Eignung
Wie steht es mit der Eignung der Impfung? Für was? Wieder steht die unbeantwortete Frage nach dem Wurzelproblem im Raum.
Schwere Verläufe werden als Problem angenommen:
“Die Impfung schützt zwar nicht vollständig, aber doch statistisch gesehen in erheblichem Umfang zumindest vor schweren Verläufen der Krankheit.”
Soll mit ihr zum Selbstschutz verpflichtet werden? Oder soll mit ihr zum Fremdschutz verpflichtet werden, weil dadurch eine geringere Intensivbettenbelegung erreicht würde? Ohne solche explizite Unterscheidung taugt diese Eignungsprüfung nicht.
Und wieder eine niedrige Impfquote als Problem:
“[D]ass sich einige Menschen durch eine rechtlich verbindliche Impfpflicht doch noch zur Impfung entschließen werden, ist eine plausible Annahme. Der angestrebte Zweck wird also gefördert. Als geeignet ist die Impfpflicht anzusehen.”
Ja, die mag durch eine Impfpflicht erhöht werden - doch ist das relevant? Ist das notwendig, gar hinreichend zur Lösung des Wurzelproblems?
Angemessenheit
Auch bei der Beurteilung der Angemessenheit wird ein Problem angenommen, jedoch nicht benannt:
“Eine Impfpflicht wäre daher möglicherweise dann zu rechtfertigen, wenn durch die Impfung eine sehr gefährliche Krankheit wirklich ausgerottet werden könnte.
Doch von einer solchen Situation sind wir derzeit weit entfernt. Die Covid-Impfungen wirken nur für verhältnismäßig kurze Zeit und möglicherweise kaum gegenüber neuen Mutationen, die das Virus in kürzester Zeit verändern. Auch Geimpfte sind am Infektionsgeschehen beteiligt und Impfdurchbrüche belasten die Intensivstationen. Der Vorteil durch eine Impfung ist also nur ein zeitlich gesehen kurzer und insgesamt gradueller. Dies kann den gravierenden Eingriff, den eine Impfpflicht mit sich bringt, nicht aufwiegen.”
Fazit
Ich stimme der Beschreibung zwar zu und freue mich über das Ergebnis. Doch den Argumentationsweg dahin finde ich nicht solide gepflastert.
Was mir fehlt ist ein Fundament unter den Beurteilungssteinen. Das wäre für mich eine unzweifelhafte Datenbasis - vollständige, relevante, geeignete Rohdaten, keine politischen Auswertungen - über zumindest:
all-cause Sterblichkeit
all-cause Intensivbettenbelegung
Unverzerrte Zählung von Intensivkapazitäten; das erfordert die Ausschaltung von Falschmeldungsanreizen
belastbare COVID-19 Diagnosen bei Sterbefällen und Intensivpatienten
belastbare Angaben von Vorbelastungen bei Sterbefällen und Intensivpatienten
100%ige Erfassung des Impfstatus bei Intensivpatienten und Sterbefällen inkl. Zeitpunkten der Verimpfung
Und alles natürlich mit einer Rasterung nach vergleichbaren Altersgruppen. Für die Todesartenbestimmung ist selbstverständlich auch eine erhöhte Anzahl von Obduktionen nötig, die u.U. sogar gegen den Willen der Angehörigen (nach dem Zufallsprinzip?) durchgeführt werden sollten; in einer Pandemie kann zur Erlangung von soliden Informationen nicht auf jede Empfindlichkeit Rücksicht genommen werden.
Was noch?
Und dann die klare Formulierung des Problems, das eine Impfpflicht lösen soll. Dieses Problem muss in den Rohdaten nachvollziehbar sein. Da in denen ganz bewusst keine PCR-Testergebnisse vorkommen, kann es sich darauf nicht beziehen. Was also ist das Problem? Wie wird es quantifiziert?
Ob Impfpflicht verfassungsrechtlich machbar ist oder nicht, ist insofern eine Frage, die sich nur zu stellen lohnt, wenn denn klar ist, wozu sie als so alternativlos geeignet und erforderlich und angemessen als Lösung angesehen wird.
Dass dabei dann auch eventuelle Impfschäden zu berücksichtigen sind, ist klar. Die tauchen in der Beurteilung bisher gar nicht als Aspekt auf. Sie müssen aber sogar Teil der Problembeschreibung sein; ihr Potenzial nicht zu berücksichtigen, wäre fahrlässig.
Aus meiner Sicht gibt es solche hochnotwendigen Daten nicht. Deutschland hat keine Basis, um die Vermutung, dass eine Impfpflicht alternativlos ist, wirklich zu substanziieren. Es herrscht vielmehr ein solcher Datensalat, dass aus dem alles und nichts herausgelesen werden kann. Der steht Kaffeesatz und Fischgekröse in nichts nach. Und damit es niemand merkt, wird großzügig mit PCR-Testergebnissen vernebelt.
Ich kann nur Fremdscham für diesen Zustand empfinden, den Regierung wie Ämter seit 22 Monaten fabrizieren und perpetuieren. Peinlich, ganz, ganz peinlich.
#corona #politik