Journalismus verständlich abwesend
Journalismus soll möglichst objektiv, vor allem aber vielfältig berichten von der Welt. Daran habe ich auch immer geglaubt. Und das ist sicher eine Funktion, die eine offene Gesellschaft braucht. Doch inzwischen glaube ich nicht mehr, dass es diesen Journalismus wirklich gibt oder je breit gab. Er war immer Seltenheit. Der Grund dafür ist einfach: auch Journalismus deckt nur einen Bedarf.
Journalismus ist ein Produkt. Das braucht Abnehmer, die bereit sind, dafür Geld zu bezahlen. Geld wird nur bezahlt, wenn das Produkt als wertvoll, nutzenstiftend, befriedigend empfunden wird.
Wo und wann wurde aber “Objektivität und pluralistische Berichterstattung” als wertvoll erachtet? Von wem?
Dass ein Medium - eine Zeitung, eine Fernsehsender - dem Ideal des Journalismus gerecht würde, kann nicht angenommen werden. Unter einem Dach lässt sich kaum Interesse an solcher Berichterstattung versammeln. Medien sind wie Abteilungen: homogen.
Über Medien hinweg jedoch hätte es Journalismus geben können. Vielleicht hat es ihn auch eine Zeit lang gegeben. Vielleicht waren die Medienkonsumenten für eine gewisse Weise daran interessiert, unterschiedliche Blickwinkel präsentiert zu bekommen.
Aber warum? Was stiftet einen solchen Bedarf? Ich würde sagen, grundlegende Skepsis. Solange es widerstreitende Meinungen darüber gibt, was die Werte einer Gesellschaft sein sollten, auf welcher Grundvorstellung sie basieren sollte, wie Politik aussehen sollte, solange hat Journalismus eine Zielgruppe.
Journalismus als Ermittler und Präsentator einer Perspektivenvielfalt (wo absolute Wahrheit und Wirklichkeit nicht existieren) braucht ein Publikum, das selbst vielfältige Perspektiven auf die Welt hat.
Wenn es ein solches Publikum nicht gibt, wird es auch keinen Journalismus mehr geben können, der seinen Namen verdient.
Medien sind keine journalistischen Institutionen, sondern Hersteller von Medienprodukten. Journalismus produzieren sie nur, wenn der sich verkauft. Eine Kritik an den Medien, keinen guten Journalismus zu produzieren, geht also zu einem Teil an ihrem Zweck vorbei. Der ist nicht absolut in Bezug auf Journalismus, sondern nur relativ. Absolut ist, Medienprodukte zu verkaufen - was immer das heißen mag.
Im Kern aller Medienprodukte steht nicht Information, sondern Erregung. Solange Journalismus Erregung verspricht, wird Journalismus geboten. Letztlich, so glaube ich, ist Erregung durch Journalismus jedoch die Ausnahme. Dafür muss Skepsis vorherrschen.
Ist die Skepsis aus welchen Gründen auch immer abwesend, verkauft sich Journalismus nicht. Dann müssen Medien auf andere Weise Erregung herstellen.
In der Corona-Pandemie hat es keinen Journalismus gegeben, wie er wünschenswert gewesen wäre, weil die Skepsis abwesend war. Das Publikum hat bekommen, was es wollte. Es wollte nicht skeptisch sein; Zweifel, also selbst geschürte Unsicherheit, war das Letzte, was Medienkonsumenten wollten. Welchen Zweifel auch immer sie hatten, sie wollten das der zerstreut wird. Diesen Wunsch haben die Medien bedient.
Hinzu kommt, dass natürlich zu fragen ist, wer eigentlich die Medien bezahlt. Woher kommt ihr Profit? Generiert ihn das konsumierende Publikum, weil es genügend zahlt, um die Medienfabril profitabel am Laufen zu halten? Oder kommt das Geld aus anderen Quellen, die auch befriedigt werden wollen? Letzteres ist wohl der Fall. Nach dieser Quelle scheinen mehr als 60% der Einnahmen von Werbekunden zu kommen. Journalismus bzw. seine Abwesenheit hat also auch mit den Bedürfnissen von Unternehmen (oder inserierender Politik) zu tun.
War das gut? Von außen betrachtet, war das natürlich nicht gut. Aus Perspektive der Medien und auch der Konsumenten war es verständlich, würde ich sagen. Denn die Medien haben eben keinen journalistischen Auftrag. “Die Vierte Gewalt” stellen sie nicht dar, auch wenn sie sich gern ab und an selbst so präsentieren. Nein, die Medien sind auch nur Unternehmen, die auf Profit ausgerichtet sind.
So sehr eine “Vierte Gewalt” wünschenswert ist als Korrektiv für die anderen Gewalten in einer Demokratie, auf die Medien kann da nicht gesetzt werden. Den nötigen echten Journalismus können sie schlicht nicht verlässlich liefern.
Das ist meine Desillusionierung des Tages: Dass Journalismus auch nur gedeihen kann, wo es real existierend ein Publikum für ihn gibt. Er ist nicht absolut, er kann nicht konstant existieren unter allen Umständen, sondern ist bei den aktuellen Geschäftsmodellen davon abhängig, dass es einen Bedarf für ihn gibt. Der muss wirklich empfunden werden und nicht nur abstrakt als Eigenschaft mündiger Bürger gewünscht sein.
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