Wie Menschen sich ansprechen, verändert sich gerade. Aber wohl nicht, wie es sich verändern soll. Es ist nicht das Gendern, das zu einem anderen Umgang miteinander führt.
Wo Kommunikation vorgeschrieben werden kann, hat sich das Gendern ausgebreitet. Die Sprache soll inklusive(r) werden. Besucher*in oder BesucherIn statt Besucherinnen und Besucher, Teilnehmende statt Teilnehmer und natürlich (m/w/d) in Stellenanzeigen. Marketingabteilungen, Behörden, Universitäten setzen aufs Gendern aus unterschiedlichen Gründen. Hier mag der gute Wille ausschlaggebend sein, dort der Drang zu mehr Marktattraktivität.
Eine Diskussion um Pro und Contra scheint es nicht (mehr) zu geben (zu müssen). Selbst wo noch Abwägung im Titel eine Diskussion steht, ist die Überzeugung deutlich, z.B. https://www.lpb-bw.de/gendern. Wenn die „geschlechtergerechte Sprache“ als „wichtiger Aspekt, um die im Grundgesetz verankerte Gleichbehandlung der Geschlechter zu fördern“ bezeichnet wird, ist das Urteil schon gefallen. Gendern soll sein.
Die Bevölkerung, das (?) Rezipient*in wurden allerdings nie gefragt, ob sie/es das auch so sieht. Deshalb muss in derselben Quelle leider konstatiert werden: „Rund zwei Drittel der wahlberechtigten Deutschen lehnen laut Meinungsumfragen eine gendergerechte Sprache ab.“
66%, also eine deutliche Mehrheit, ist gegen das Gendern.
Dennoch wird damit weitergemacht, wenn nicht sogar die Anstrengung verstärkt. Gendern gegen Unlust, Unmut, Widerstand. Es ist egal. Die Sprachgewohnheit muss verändert werden. Dazu verpflichtet der Plan die Überzeugung.
Ich denke hingegen: Das wird sich geben. Peter Druckers „culture eats strategy for breakfast“ gilt auch hier. So tiefsitzende kulturelle Gewohnheit lässt sich nicht „per Dekret“ verändern. Die Strategie wird Spuren hinterlassen, z.B. Teilnehmende statt Teilnehmerinnen und Teilnehmer oder (m/w/d). Das zu akzeptieren, macht wenig Mühe. Tiefer wird der Umbau jedoch nicht gehen — außer, wo er erzwungen wird.
Währenddessen geschieht allerdings etwas anderes und ganz ungeplant. Keine Strategie ist am Start, keine Ideologie fordert etwas. Es passiert einfach. Von unten nach oben ändert sich die Sprachgewohnheit. Was ich meine ist das Duzen.
IKEA war irgendwann mit seinem nordischen Charm der Vorreiter. Aber inzwischen werde ich in vielen Läden aus dem Stand geduzt. Oder im Restaurant. Was Bettlern vorbehalten war — „Hast’e mal ‘ne Mark?“ — tun zunehmend auch Menschen auf der Straße: Sie sprechen einander ohne persönliche Bekanntheit einfach mit Du an.
Für manche ist das noch sehr ungewohnt, sie verbitten sich sogar solche Vertraulichkeiten. Auch für mich ist das noch nicht immer reibungslos. Doch ich denke, der Trend ist eindeutig und unaufhaltsam. Das Du wird sich als vorrangige Art der Adressierung durchsetzen. 10 oder 20 Jahre mag es noch dauern, eine Generation wird darüber sterben müssen. Am Ende wird die informelle Ansprache allerdings siegen. Ich sehe mindestens drei Gründe:
Wer Teamwork will, braucht Augenhöhe. Das hat die Flugsicherheit schon erkannt und das Du bzw. die Ansprache per Vornamen in Cockpits eingeführt. Weniger Hierarchie soll die Sicherheit im Problemfall erhöhen. Formalitäten sind Sand im Getriebe der Kommunikation.
Wo die Not Menschen gleich macht, verschwinden Formalien. Ihr Zweck ist ja, Unterschied und Hierarchie sprachlich zu repräsentieren. Bei deren Erosion wird auch die Sprache geschliffen.
Das Du ist inklusiv. Es differenziert nicht aufgrund Alter oder Macht. Insofern ist es in Linie mit denen, die das Gendern fördern wollen. Das Du erfährt durchs Gendern Unterstützung — wenn auch nicht strategisch.
Natürlich wird die formellere Ansprache auf Sicht nicht verschwinden. Das Sie wird es weiterhin geben, doch es wir den Status des Ihr erlangen. Es wird verstanden, es wird hier und da auch noch opportun sein. Doch weithin werden Menschen sich mit dem Du und dem Vornamen anreden. („Kartstadt-Duzen“ sehe ich nicht als Zwischenlösung: „Frau Meier, kannst du mal…“)
Zwei Veränderungen in der Sprache. Die eine offiziell, gefördert, gewollt, top-down, die andere inoffiziell, bottom-up. Welche wird sich durchsetzen? Ich denke, nur eine, die bottom-up Veränderung. Sie ist organisch. Sie erwächst aus einer real existierenden Stimmung in der Bevölkerung. Sie spricht vielen Menschen aus dem Herzen: Das Du bringt sie näher zusammen.
Das Gendern hingegen… es wird sich verlaufen, ein Nieschendasein fristen. Es ist schlicht nicht kompatibel mit dem, was die Menschen fühlen und sich wünschen von ihrer Sprache.