Maskenvorteil
Gestern hatte ich ein merkwürdiges Gefühl, als ich durch eine Menschenmenge auf dem Hauptbahnhof ging: Ich habe mich entspannt gefühlt - und der Grund war die Maske in den Gesichtern der anderen Menschen.
Das hat mich erschrocken. Das kann doch nicht sein. Ich finde Masken ganz gruselig: für mich und für andere.
Und dennoch... ich habe mich irgendwie entspannt und leicht gefühlt.
Was war los?
Dann bin ich darauf gekommen: Mit der Maske kann ich andere Menschen nicht mehr als Menschen wahrnehmen. Sie sind für mich mehr “wandelnde Gegenstände”.
Wenn mir Menschen entgegenkommen, bin ich in einem mehr oder weniger bewussten Beurteilungsmodus: Sind sie mir wohlgesonnen oder wittere ich Feindseligkeit? Sind sie attrakiv oder abstoßend? Haben sie etwas, das ich auch gern hätte? Wollen sie etwas von mir?
Jeder Mensch ist eine Aufforderung, mich ihm gegenüber zu positionieren.
Das passiert mit im Wald nicht mit den Bäumen. Deshalb komme ich im Wald zur Ruhe.
Die Natur ist, wie sie ist. Das mag mir nicht gefallen, wenn mir z.B. ein umgefallener Baum den Weg versperrt oder Schnee das Gehen schwer macht. Doch darin liegt keine Absicht. Es stellt sich keine “Schuldfrage”.
Anders bei Menschen. Wenn es mit denen nicht ist, wie es mir gefällt, dann stellt sich die “Schuldfrage”. Dann meine ich, ihnen Vorwürfe machen zu können. Dann kann ich projizieren, von mir ablenken. Warum sind die Menschen nicht anders, mehr mir zu Gefallen? Warum schaffe ich es nicht, anderen zu gefallen?
Unsicherheit, Angst, Neid, Antrengung um Attraktivität... all das ist im Gange, wenn ich Menschen gegenübertrete. In Menschenmengen hagelt es nur so von Eindrücken, die beurteilt werden wollen.
Bisher.
Denn nun ist das anders, wie ich gemerkt habe. Maskierte Menschenmengen geben mir eine Form von Ruhe.
Die bisher schon sprichwörtlich anonyme Masse ist mit den Masken nun noch anonymer geworden. Es gibt keine Gesichter und deshalb keine Identität mehr.
Dass mich das in irgendeiner Form positiv anfliegen könnte, hätte ich nicht gedacht.
#corona #gesellschaft #psychologie