Naturgegeben
Es ist Anfang Juli 2019. Vor wenigen Tagen sind wir in Vancouver mit unserem Wohnmobil aufgebrochen. Recht spontan haben wir uns für die Route nach Westen entschieden und sind mit der Fähre nach Victoria übergesetzt.
Ich stehe auf einer Holztreppe. Sie führt hinunter in den Regenwald. Ich befinde mich auf Vancouver Island: im Pacific Rim National Park. Diese Wege aus Holzbrettern sind Wege durch einen Regenwald. Sie ermöglichen es uns, die nahezu unberührte Natur zu entdecken, ohne sie unnötigerweise zu zerstören oder zu beeinflussen. Sie führen mehrere Kilometer durch schier endloses Grün. Alles scheint friedlich. Sich selbst überlassen. Natur pur. Unberührt. Das Leben scheint hier seinen eigenen Gesetzen zu folgen. Pures Leben, welches nur den Gesetzen der Natur folgt.
Ich stehe da, schaue die Treppen hinab und träume. Ich lausche den Stimmen. Den Stimmen von Mutter Natur. Es ist das Rauschen der Blätter. Das Zwitschern der Vögel. Es scheint fremd und gleichzeitig vertraut. Es ist ein wundervoller Moment. Ich spüre die Nähe und Einheit mit der Wahrhaftigkeit. Ich genieße den Moment und versuche, die Stimmung zu inhalieren; sie festzuhalten und in meinem Gehirn zu speichern.
Ich frage mich, wie weit haben wir Menschen uns inzwischen von der Natur entfernt?! Ich meine dabei nicht, dass wir in Häusern oder Städten leben, uns selbst als zivilisiert bezeichnen und nicht im Wald wohnen. Vielmehr frage ich mich, warum wir uns immer weiter von den Fähigkeiten, die uns die Natur oder Gott schenkte, entfernen. Wir ignorieren sie; die wundervollen Gaben, die uns geschenkt wurden. Der Trott und die Routine halten uns gefangen, leiten den Blick in eine andere Richtung. Konditioniert an falsche Götter zu glauben und Illusionen hinterher zu jagen. Wir wollen mehr von dem, was uns ein besseres Leben verspricht. Geld. Und wir wissen nicht mal, was das bessere Leben genau sein soll. Unser System ist Schein. Weit weg von wirklicher Erfüllung.
Ich schaue in ein Meer von grünen Pflanzen. Bin fasziniert. Sie haben sich arrangiert. Die Kämpfe auf ihre Weise ausgefochten und sich am Ende doch für ein Miteinander entschieden. Damit einer wachsen kann, muss etwas anderes weichen. Gleichzeitig bietet der Wachsende, Raum für andere Lebensformen. Es ist ein Miteinander, aber auch der Kampf ums Überleben.
Was bilden wir Menschen uns eigentlich nur ein, dass wir diese Gesetze der Natur in unser künstlichen Welt arrogant ignorieren. Kampf wird verpönt. Alles sollen gleich sein. Wie realitätsfern. Wir machen Gesetze, um natürliche Ungleichheiten auszugleichen und glauben dadurch, die Welt gerechter zu machen. Es ist töricht. Wir hindern dabei die einen, sich zu entfalten, damit andere sich nicht benachteiligt fühlen. Ich stelle fest, wir müssten uns mehr von der Natur abschauen. Eine Pflanze wächst höher. Sie wird größer als andere. Dafür spendet sie anderen, die es brauchen Schatten, bietet vielen Kreaturen Lebensraum. Dies tut sie aber nicht für die anderen, sie entfaltet sich frei und tut Gutes, ohne nach Anerkennung zu schreien. Sie tut es für sich. Es ist ihr natürlicher Trieb zu wachsen und irgendwann wieder zu gehen.
Ich gehe weiter, genieße und beobachte. Es ist der Anfang einer großartigen Zeit und Abenteuers. Nichts ist fixiert, alles ungeplant. Das Einzige, was uns voran treibt, ist Neugier.