Qualitätspolitiker vergeblich gesucht
Was will einer, der in die Politik geht? Etwas für die Menschen um sich herum verändern. Zumindest ist das der beste Fall, würde ich sagen.
Wie kann einer, der in der Politik ist, am meisten verändern? Indem er eine einflussreiche Rolle einnimmt.
Einflussreiche(re) Rollen sind in der Politik und in anderen Organisationen die, die näher an der Spitze angesiedelt sind. Die Politik ist genauso hierarchisch organisiert wie die meisten Unternehmen oder Behörden; das bedeutet: Wer oben ist, definiert den Rahmen, in dem unten entschieden und gehandelt werden kann. Wer oben ist, definiert Werte und Strategie der Organisation.
Wie kommt nun einer, der in die Politik auf einer bestimmten Ebene eingetreten ist, um etwas für die Menschen um sich herum zu verändern, auf eine höhere Ebene, um mehr für diese Menschen zu leisten? Steigt jemand in der politischen Hierarchie auf, weil er einen guten Job für die Wähler macht?
Nein.
Qualitäten, die für gute Politik vorteilhaft sind, haben nichts mit den Qualitäten zu tun, die für einen Aufstieg in der Hierarchie der Politik nötig sind.
So ist es in jedem Unternehmen, so ist es in der Politik: Gute Arbeit für Nutznießer einer Organisation ist etwas anderes, als gute Arbeit für Menschen innerhalb einer Organisation.
Das, was jemanden in einer Organisation hält, kommt nicht von außen, sondern von oben. In einem Unternehmen ist das zunächst einmal das Gehalt, dann Gunst. In der Politik ist es vor allem Gunst.
Über kurz oder lang führt das zu einem Zielkonflikt: Gunst von oben aus der Hierarchie, die nötig für einen Aufstieg in ihr ist, hat nur sehr bedingt etwas mit guter Arbeit für Kunden oder Wähler zu tun.
Früher oder später muss sich der Politiker also entscheiden zwischen begrenzter guter Arbeit für Wähler oder Aufstieg in der Hierarchie. Ich glaube nicht mehr, dass beides wirklich zusammen geht. Oder wenn, dann nur als Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Zwar bezweifle ich nicht, dass immer wieder mal Qualitätspolitiker aus Wählersicht unten in die Hierarchie eintreten… doch wenn die sich für einen Aufstieg darin entscheiden, um noch mehr Gutes zu tun… dann werden sie entweder in der Hierarchie zerrieben oder verlieren ihre ursprüngliche Qualität.
Umgekehrt dürfen wir inzwischen annehmen - wenn es überhaupt je anders war -, dass die, deren Gesichter wir an der Spitze der Politikpyramide sehen, nicht die Qualitäten haben, die wir uns als Wähler wünschen.
Während des Aufstiegs haben sie ihren ehemals hehren Anspruch wie einen zu schweren Rucksack abwerfen müssen. Wer aufsteigen will in der Politik, der muss zum Günstling werden. Denn wer heute schon oben ist, sucht sich die aus, die morgen oben sein sollen. Wer aufsteigen will, ist kein Diener der Umwelt, sondern ein Diener derjenigen, die schon oben sind.
Wie sollte es auch anders sein? Ich halte alles andere für eine naive Vorstellung. Solange es hierarchische Organisationen gibt, sind die Verhältnisse innen anders als zur Umwelt. Innen gelten andere Gesetze als im Verkehr mit Nutzern. Umso mehr, je isolierter die an der Spitze von den Nutzern der Organisation sind. Umso mehr auch, je länger die Hierarchie schon existiert in Form und personeller Besetzung.
Je stabiler eine Hierarchie, desto anfälliger ist sie für Korruption von außen und innen. Das scheint mir ein Naturgesetz.
In Unternehmen mag uns das egal sein. In der Politik darf uns das nicht egal sein. Wenn in der Politik Qualitätspolitiker im Sinne der Wähler vergeblich an der Spitze gesucht werden, dann haben die Wähler ein Problem.
Durch diese Brille betrachtet, ist Politik wie sie ist - von Rente über Gesundheitssystem bis Verkehr oder Verteidigung - für mich plausibler. Ich wundere mich über nichts mehr. Fortschritt für Wähler ist Nebensache, solange persönlicher Fortschritt innerhalb der Hierarchie mit weniger Aufwand erreicht werden kann. Auch der Politiker ist nur Mensch und somit erstmal sich selbst am nächsten. Wer da glaubt, er könne seinen Idealen treu bleiben beim Aufstieg, ist wohl leider naiv, überschätzt sich maßlos oder ist schlicht geschichtsignorant.
#politik