Ja ist die einzig akzeptable Antwort auf das, was Regierung, Leitmedien, Schweinwerferlichtwissenschaftler und lautstarke Öffentlichkeit heute verkünden.
Ist das Virus ein Killer und das Gesundheitssystem in großer Gefahr und kann nur noch die Impfpflicht den finalen Rettungsschuss bringen? Ist Putin grundböse und will ganz Europa unterjochen? Ist die Klimakatastrophe menschengemacht und CO2-Ausstoß das Kernübel, das die Menschen weltweit bedroht? Ist die Welt aus den Fugen und kann nur durch globale, zentrale Organe noch halbwegs wieder gekittet werden?
Ja, Ja, Ja, Ja und noch viele Male Ja — etwas anderes darf nicht gesagt werden ohne Gefahr von Abstand, Ächtung, Ausschluss.
Das, was an Erklärungen und Leistungen von öffentlichen wie privaten Akteuren mit Einfluss angeboten wird, hat den Anspruch auf Unwiderstehlichkeit. Wer zögert, anzunehmen, wird erst zweifelnd angeschaut, dann mit besorgter Miene ermahnt, schließlich bei unbeugsamer Renitenz zum Paria erklärt oder zu seinem Glück gezwungen.
Dass jemand Nein zu den Angeboten sagen könnte und dennoch im vollen Bewusstsein seiner geistigen Kräfte ist, kann nicht sein, darf nicht sein. Wer fühlen und denken kann, muss zum selben Schluss kommen wie die Führer der Stunde: die Regierungsführer, die Medienführer, die Social Media Meinungsführer, die Konzernführer, die Expertenführer. Die Alternative kann nur psychopathologische Störung oder rechtsideologischer Verblendung sein.
So empfinde ich die moralinsauere Stimmung seit Mitte 2020. Der Gestank einer zusammengepferchten Herde, die sich ihr Los schönreden muss, in der jeder Quertreiber die Unbeweglichkeit doppelt spürbar macht, wird mit jedem Tag stärker, scheint mir.
Alle reden sich ein, offen, herzlich, solidarisch, tolerant, ehrlich zu sein… doch das Gegenteil ist der Fall.
Für mich fehlt eine Grundehrlichkeit. Eine Ehrlichkeit, die ausspricht, laut ausspricht, was jeder fühlt, wirklich, wirklich fühlt in diesen Zeiten.
Oder, nein, nicht ausspricht: herausschreit. Verzweifelt herausschreit.
Aber dazu fehlt der Mut.
Denn Mut braucht es, nicht nur anderen, sondern vor allem sich selbst einzugestehen, was alles scheiße ist. Richtig scheiße. Von der Scheiße mit den Hungerlöhnen über die Scheiße mit der Renteraltersarmut und die Pflegekatastrophe bis zur Maßregelung an jeder Ecke durch dahergelaufene Türsteher mit Kontrollgeräten für einen Impfstatus. Von der wachsenden Ungleichheit und sinkenden sozialen Mobilität ganz zu schweigen. Und jetzt auch noch Krieg in Europa. Und 100.000.000.000 Euro für die marode Bundeswehr und keinen, aber auch keinen scheiß Euro für bessere Pflege oder ein weniger prekäres Gesundheitssystem oder bessere Schulbildung. Für Waffen sind 100.000.000.000 Euro aus dem Stand da. Kanzlermachtwort! Aber für Renten, für Umweltschutz, allein Erziehende…? Kein Cent. Jedenfalls nicht freiwillig, nicht ohne langes, langes Bitten und Betteln.
Masken, Impfstoff, Konzernrettung, Waffen? Das Geld wird gedruckt. Bedrohte KMU Existenzen, Kultur, Pflege, Kindergärten, Schulen, ÖPNV? Die Taschen sind leer.
Dass das nicht wütend macht, kann ich nicht glauben. Dass nicht Frust, nein, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in Massen von Menschen gären und Druck aufbauen, wäre mir unverständlich.
Deshalb sind die weit geöffneten Arme für die weißen Flüchtlinge aus der Ukraine und nicht die schwarzen Flüchtlinge aus Afrika Heuchelei und Unehrlichkeit.
“Complete honesty!” Die fehlt.
Konsequenterweise kann auch kein Nein akzeptiert werden. Denn ein Nein würde erfordern, dass man sich damit auseinandersetzt. Ein Nein ist eine Herausforderung an die eigene Haltung. Jedes Nein stellt ein Ja in Frage. Das ist eine Gefahr für die eigene mühsam zusammengezimmerte Haltung.
So werden denn nicht wirklich Angebote gemacht, es gibt keine Einladungen, noch nicht einmal Bitten werden ausgesprochen. Alles ist Forderung. Ja, sogar Aussagen sind Forderungen: Sie fordern das bejahende Nicken ein.
Regierung, Medien, Öffentlichkeit fordern: Haltung annehmen! Unsere Haltung. Wer sich ihr nicht mit einem Ja anschließt, wird ausgeschlossen.
Das ist das Gegenteil einer freien, offenen Gesellschaft. Das ist auch das Gegenteil von Demokratie. Aber die ist ja auch schon überwunden: Wo die Opposition sich nicht von der Regierung unterscheidet, kann von Demokratie keine Rede mehr sein.
Die erste und grundlegende Freiheit ist die, Nein sagen zu dürfen. Ohne sie nicht einmal Gedankenfreiheit, geschweige denn freie Meinungsäußerung.
Nur durch das Nein kann sich ein Individuum mit eigener Persönlichkeit entwickeln. Das Nein ist eine Grenze, dass es um sich zieht, um sich von anderen zu unterscheiden. Ohne Nein keine Individuen, nur Masse.
Wo Freiheit ist, da wird auch der Dissenz ertragen; der ist natürlich, wo Individuen einander begegnen. Er gehört zur Freiheit dazu wie der Regen zum Sonnenschein. Dissenz ist schließlich der Same für das Bessere.
Eine Gesellschaft, die keinen Dissenz mehr akzeptieren kann — und die daraus möglicherweise entstehenden Konflikte inklusive Opfer —, eine Gesellschaft, die das Nein fürchtet wie der Teufel das Weihwasser, die nur noch aus Ja-Sagern bestehen will, die ist nicht frei. Die ist auch nicht lebensfähig.
Du sprichst mir wieder einmal aus dem Herzen!!!