Ideologie ist auf Dauer immer zum Scheitern verurteilt: weil sie sich selbst begrenzt. Sie begrenzt sich, weil sie diejenigen, die sich etwas anderes als die Welt der Ideologie vorstellen wollen, ausgrenzt. Wer nicht mit einer Ideologie ist, ist gegen sie. Wer gegen sie ist, muss auf die eine oder andere Weise früher oder später überwältigt oder ausgestoßen werden.
Wer einer Ideologie anhängt, kann und darf sich nur wünschen, was zu ihr passt. Wer darüber hinaus denkt, wer sich etwas anderes vorstellt, der ist schon aus ihr herausgefallen — und wird von ihr bekämpft.
Diese definitionsmäßige Selbstbegrenzung von Ideologie macht ein darauf basiertes Leben letztlich fragil. Wenn sich die Welt in einer Weise ändert, so dass hilfreiche Reaktionen innerhalb der Ideologie nicht gedacht werden können, entsteht Leiden durch und an der Ideologie.
Woran ist eine Ideologie zu erkennen? Am Verbot zu träumen.
Natürlich wurzelt jede Ideologie selbst in einem Traum von einer besseren Welt — deren (noch fehlende) Manifestation klar umrissene böse Kräfte entgegenwirken. Doch gleichzeitig fordert sie die strickte Begrenzung jeglichen Träumens. Träume dürfen nur noch in ihr existieren; sie dürfen sie nicht in Frage stellen, indem sie über sie hinausgehen.
Die Natur des Träumens ist jedoch die Grenzenlosigkeit.
Träume lassen sich nicht einsperren.
In Träumen ist alles möglich, das Schönste wie das Schlimmste. Sie lassen sich in keine Kiste stecken. Um Träume herum lassen sich keine Zäune ziehen.
Ideologien ignorieren das und wollen das Unmögliche. Das führt notwendig über kurz oder lang zu Konflikten. Denn wenn man den Menschen ihre Träume nimmt, die kleinen wie die großen, die unwillkürlichen wie die bewusst ausgeschmückten, dann hat man ihnen wirklich alles genommen. Träume sind ihre Rückzugsorte. Träume sind ihre Kraftquellen. Ohne Träume verkümmern Menschen. Und wenn Träume nicht mehr geteilt werden dürfen, lösen sich die Verbindungen zwischen den Menschen. So dörrt jede Ideologie mit der Zeit aus. Ihr kommen die lebendigen, weil träumenden Menschen abhanden.
Doch das schert Ideologen nicht. Sie kennen nur einen eigenen letzten Traum: den von einer Welt, wie sie ihre Ideologie beschreibt. Es ist der Traum, um alle anderen Träume obsolet zu machen.
Dass die Welt zunehmend in Ideologie versinkt, ist in diesen Zeiten überall zu spüren. Selbst Demokratie ist zu einer Ideologie verkommen, dem Demokratismus.
Es sind überall klare Grenzen gesetzt. Wer darüber hinaus träumt, wer sich eine andere Welt wünscht, wird erstaunt angeschaut, versucht zu bekehren, beschimpft, schließlich ausgegrenzt und zensiert. Cancelations sind augenfällige Symptome von Ideologie.
Zwei Jahre herrschte vor allem Impfideologie, nun Ukraineideologie, danach wohl wieder Ökoideologie oder — wenn es schlimm kommt — Optimierungsideologie. Und dahinter steht der Demokratismus Hand in Hand mit dem Kapitalismus.
Ideologisch ist die Aufladung all dieser Themen, weil sie in sich keine Vielfalt mehr tragen: es gibt sie nicht mehr, die vielfältigen Ursachen, die unterschiedlichen Erklärungsmodelle, die alternativen Lösungswege. Ideologien vertragen keine Pluralität — ja, auch wenn sie Geschlechtspluralität gutheißen. Dass Menschen jenseits gesteckter Grenzen, also außerhalb des ideologischen Narrativs denken oder auch nur träumen könnten, ist nicht mehr vorstellbar.
Und damit sind wir am Ende. Die (westliche) Welt ist vollständig ideologisiert. Die Menschen sind in sehr begrenzten Vorstellungen gefangen — oder Ausgestoßene.
Dass das gut ausgeht… Ich kann mir das nicht mehr vorstellen. Meine Träume sind entweder Albträume von einer Welt im Ganzen oder Rückzugsträume in eine Welt im Kleinen, ins Überschaubare, wo mich die Ideologien vielleicht in Ruhe lassen.