In unsicheren Zeiten ist es gut, flexibel zu sein. Jederzeit kann sich ändern, was bisher als stabil galt; jederzeit kann wechseln, was vorteilhaft ist. Innerlich frei zu sein, ist die beste Basis dafür, in unsicheren Zeiten nicht in Verzweiflung zu fallen.
Und was macht frei? Vermögen macht frei. Wer viel Vermögen hat, kann es einsetzen, um für sich die Umstände günstig zu beeinflussen.
Das deutsche Wort Vermögen ist schön, weil es so umfassend ist. Im ersten Moment mag damit Geld assoziiert werden, doch Vermögen ist weit mehr. Natürlich gehört zum Vermögen auch das finanzielle Vermögen. Doch es vermag nicht nur der viel, der viel Geld hat; auch wer viel weiß oder wer viele Freunde hat, ist vermögend. Geistiges Vermögen, soziales Vermögen, emotionales Vermögen… all das und mehr hilft in unsicheren Zeiten.
Deshalb glaube ich, dass Vermögensaufbau vom Tag der Geburt an betrieben werden sollte. Zuerst unter Mithilfe von Eltern und Schule, später selbstständig. Jeden Tag kann der eine oder andere Aspekt des persönlichen, umfassenden Vermögens gemehrt werden. Das finanzielle Vermögen ist — wie gesagt — dabei nur ein Teil. Sicher soll der nicht vernachlässigt werden. Doch ihn überzubetonen ist auch nicht hilfreich.
Das scheint mir allerdings meistens der Fall: Finanzielles Vermögen steht lebenslang im Mittelpunkt. Davon kann es nicht genug geben. Das geistige Vermögen hingegen — Wissen, Fähigkeiten — meint man, bis zum 18. oder vielleicht 25. Lebensjahr abschließend aufgebaut zu haben. “Lebenslanges Lernen” ist zwar ein Schlagwort, doch wie sieht die Praxis aus? Wer mir 34 darüber stöhnt, schon wieder ein digitales Tool für den Job lernen zu müssen, scheint mir nicht danach zu leben. “Lebenslanges Lernen” ist weithin ein Lippenbekenntnis — und so fällt es schwer, mit Veränderungen und Unsicherheit umzugehen.
Geistiges und praktisches Vermögen
Und worin besteht geistiges Vermögen? Am Schul- und Ausbildungswissen lässt sich kaum etwas ändern. Es ist, wie es ist. Die Institutionen liefern eine Grundausstattung inklusive Indoktrination, dass ein weiterer selbstständiger Vermögensaufbau über sie hinaus unwichtig sei. Und es mag auch früher einmal so ausgesehen haben, als seien die Zeiten stabil genug, dass in der Schule im Grunde alles gesagt werden konnte, um von der Ausbildung bis zur Rente durchzukommen. Vielleicht. Heute jedoch ist das für mich eine irreale Annahme.
Womit sollte das geistige Vermögen oder auch das praktische denn aber angereichert werden?
Fremdsprachen. Zwei oder drei Fremdsprachen zu sprechen, scheint mir sehr, sehr hilfreich in einer Zeit, in der sich der Ort, an dem ein freies, ungestörtes Leben möglich ist, sich ständig verschieben kann. Englisch ist selbstverständlich. Französisch oder Spanisch darüber hinaus scheint mir sehr nützlich. Vielleicht sogar beides? Früher hätte ich auch noch Russisch empfohlen, heute vielleicht zumindest Grundkenntnisse in Chinesisch? Fremdsprachen helfen einfach bei der Mobilität for fun and profit.
Handwerk. Ich denke, handwerklich einige Kompetenz zu haben, ist ungemein befreiend. Nicht nur in Deutschland lässt sich damit die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit von Handwerksunternehmen reduzieren; vor allem dient handwerkliche Kompetenz der Selbstständigkeit in fremden Ländern. Auf dem Balkan, wo ich lebe, oder in Afrika oder auch in Mexiko sind die Qualitätsansprüche und Verlässlichkeitsvorstellungen sehr anders als in Deutschland. Wer dort nicht verzweifeln will, wenn er sich für wenig Geld etwas aufbauen möchte, der ist besser ein handyman der einen oder anderen Art. Baumaterial und Werkzeuge sind vorhanden — nur tun muss es jemand. Wer es selbst tun kann, ist im Vorteil; der kann leichter von den dortigen geringeren Lebenshaltungskosten profitieren.
Programmiersprache. Zumindest eine Grundkompetenz in Sachen Programmierung ist sehr zu empfehlen. Sie hilft dabei, für sich selbst digitale Tools zu bauen; sie hilft aber auch, andere Tools zu verstehen. Und digitale Tools inkl. digitaler Kompetenz ist das, was in Zukunft einen Vorsprung bietet beim Aufbau eines Lebenserwerbs jeder Art wo auch immer in der Welt.
Musik. Ein Instrument zu beherrschen mag zum Lebensunterhalt nicht direkt beitragen, doch es unterstützt den Aufbau von sozialem und emotionalem Vermögen. Wer ein Instrument spielt, kann andere erfreuen oder findet Gleichgesinnte. Wer ein Instrument spielt, kann sich damit schöne Stunden machen und einfach auch mal aus der Unsicherheit des Lebens heraustreten.
Reflexion. Eine grundlegende und universelle geistige Kompetenz ist schließlich die Fähigkeit zur Reflexion über die Verhältnisse und das Leben. Nur wer genau hinschaut, wer kritisch/skeptisch ist und über das Wahrgenommene nachdenkt, kann eine Idee für eine bessere Zukunft entwickeln. Geistige Selbstständigkeit ist die Bedingung für die Möglichkeit eines glücklichen Lebens in unsicheren Zeiten.
Verlässlichkeit. Ob eine geistige und/oder praktische Kompetenz, in jedem Fall ist Verlässlichkeit sich selbst gegenüber und in der Zusammenarbeit mit anderen eine wichtige Zutat für jedes Projekt im Leben. Sich selbst organisieren zu können, systematisch produktiv zu bleiben, den Kopf über Wasser halten zu können bei steigendem Stress… das unterscheidet sehr positiv von vielen Menschen.
Körperliches Vermögen
“Gesunder Geist in gesundem Körper” haben die Römer gesagt. Der eine nützt wenig ohne den anderen. Deshalb sollte auch ein Augenmerk auf das körperliche Vermögen gelegt werden. Das lässt sich in vielfältiger Form aufbauen und pflegen. Viel Geld braucht es dafür nicht.
Ernährung. Der gesunde Körper mit hoher Kompensationsfähigkeit für wechselnde Lebensfälle beginnt bei der “artgerechten” Ernährung. Damit sage ich nichts Neues. Aber es gibt eben nichts Gutes, außer man tut es. Ohne Schokolade oder streng vegan muss die Ernährung gar nicht sein. Ich denke, viel lässt sich schon erreichen, wenn auf Alkohol und viel Zucker verzichtet wird (und aufs Rauchen). Danach beginnt Feintuning eng am persönlichen Wohlbefinden: der eine braucht mehr Gemüse, der andere mehr Fett, der andere mehr Früchte, der nächste mehr Fasten. Sensibel bleiben für die Regungen des Körpers, ist das Motto. Jede Form von Medikamentenabhängigkeit ist natürlich auch zu vermeiden. Dazu mag eine Voraussetzung sein, sich nicht auf der Arbeit selbst auszubeuten.
Fitness. Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit, Geschicklichkeit lassen sich auf vielfältige Weise aufbauen und erhalten. Das Fitness-Studio ist dafür nicht der einzige Ort. Anleitungen gibt es unendlich viele. Jeder kann hier etwas nach seiner Neigung finden, denke ich. Wer mit 48 nur schwer atmend die Treppe bis in den 4. Stock hoch kommt, sollte hier etwas für den Vermögensaufbau tun. Situationen, in denen körperliche Mobilität gefragt ist, können jederzeit auftreten.
Soziales Vermögen
Das soziale Vermögen wird schon eher gepflegt, meist jedoch nur in Form eines netten Freundeskreises. Das ist sicher nicht falsch, doch ist es genug? Ist es genug, soziale Verbindungen auf der Arbeit oder im Fitnessstudio zufällig entstehen zu lassen? Mir scheint, der soziale Vermögensaufbau sollte darüber hinaus gehen. Worauf es “im Ernstfall” ankommt, sind Verbindungen zu einer Community, die verlässlich ist. Kirchengemeinde, Country Club, Freimaurer sind Beispiele für solche Communities, bei denen es um mehr ging und geht als einfach eine gute Zeit miteinander zu haben. Wer mag, kann auch heute noch dort soziales Vermögen aufbauen; wer nicht mag, sollte auf die Suche gehen nach Alternativen, die “in die Tiefe gehen”. Vielleicht sind Meetups dafür eine Quelle, vielleicht auch Facebook-Gruppen. Sicher sind die Möglichkeiten heute vielfältiger als früher — wenn man dieses Vermögen ernst nimmt. Auch die Familie zählt dazu, die Herkunftsfamilie wie die selbst aufgebaute, zumindest in Form einer stabilen Partnerschaft. Single sein in unsicheren Zeiten ist belastend.
Emotionales Vermögen
Schließlich das emotionale Vermögen. Mir scheint, darauf wird nur indirekt geachtet. Wer in einer Partnerschaft lebt, einen Freundeskreis hat und schonmal etwas von Meditation gehört hat, meint genug dafür getan zu haben. Kann überhaupt mehr dafür getan werden? Ich denke, ja.
Das Wesentliche ist, sich überhaupt der Wichtigkeit dieses Vermögens bewusst zu werden. Wir sind keine Opfer unserer Emotionen. Wir können sie reflektieren und regulieren. Vor allem können wir sie erstmal beginnen überhaupt (differenziert) wahrzunehmen. Was dabei zutage treten mag, kann erschrecken. Doch dann besteht wenigstens ein Ansatzpunkt für eine angemessene Reaktion. Wie viel finanzielles und körperliches Vermögen wird verschwendet zur Kompensation von Emotionen, mit denen nicht bewusst umgegangen wird? Konsum, Sucht, Burn-out, Konflikte… die Liste der Symptome eines naiven Umgangs mit Emotionen ist lang.
Sich bewusst in der Psychologie oder auch bei spirituellen Angeboten umzuschauen, um im Lichte des geistigen Vermögens sich einige Grundkompetenzen anzueignen, halte ich für unverzichtbar für ein selbstbestimmtes Leben. Therapiesitzungen zur Klärung akuter Probleme oder einfach nur zur Selbsterkenntnis, mögen ein Baustein sein. Kurse zu NLP oder Meditation ein weiterer. Ich denke, hier ist das Feld ganz weit; es gibt viel zu tun.
Zur emotionalen Kompetenz gehört für mich übrigens auch die Fähigkeit, sich lösen zu können. Nichts macht in unsicheren Zeiten unfreier, als an Dingen, Zuständen, Menschen zu hängen bis zur Immobilität.
Finanzielles Vermögen
Das finanzielle Vermögen darf natürlich nicht fehlen im Mix des Vermögensaufbaus. “Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles andere nix” weiß der Volksmund. Da ist etwas dran.
Zum Aufbau finanziellen Vermögens gehört für mich aber mehr als Karriere in Konzern oder Behörde für ein dickes Bankkonto mit Hoffnung auf eine dermaleinstige Rente. Finanzielles Vermögen beginnt mit der Anerkenntnis von Selbstverantwortung und damit der Akzeptanz von Selbstständigkeit. Jeder muss für sich selbst sorgen — auf die eine oder andere Weise. Sich darauf zu verlassen, dass “Vater Staat” oder eine andere fürsorgende Institution für ein stressarmes Leben da sind, halte ich für naiv. Solches Denken führt direkt in die Abhängigkeit, also Unfreiheit, d.h. das Gegenteil von dem, was in unsicheren Zeiten nötig ist.
Wissen. In Anerkenntnis der Selbstverantwortung stellt sich die Frage: “Was kann ich denn schon tun?” Meine Antwort darauf: Bildung! Jeder sollte selbst (in den Grundzügen) verstehen, wie Wirtschaft und Finanzwesen funktionieren. Ein Grundwissen zu Aktien, Immobilien, Versicherungen, Kryptowährungen und Steuern/Steuersystemen halte ich für wichtig, um eine für sich maßgeschneiderte Anlagestrategie zu entwickeln. Je früher, desto besser. Investieren statt Konsumieren kostet Kraft und Zeit — zahlt sich am Ende aber aus. Die Schulen sind in dieser Hinsicht gar keine Hilfe; wahrscheinlich nicht aus Zufall.
Selbstständigkeit. Es mag nicht jedem in die Wiege gelegt worden sein, selbstständig Geld zu verdienen. Ausgeschlossen werden sollte diese Möglichkeit für die Zukunft als Wunsch oder Notwendigkeit aber nicht. Flexibler ist, wer auch Grundkompetenzen hat, um selbstständig zu arbeiten. Wie funktionieren, Marketing, Verkauf, “Buchhaltung”? Welche Geschäftsmodelle gibt es? Wie kann ein Produktportfolio aussehen? Wie kann ein Business gestartet werden? Eine Beschäftigung damit vielleicht im Rahmen eines kleinen Projektes ist immer und in jedem Alter möglich. Jeder kann ausprobieren, ein bisschen Geld in Selbstständigkeit zu verdienen. Das stärkt in jedem Fall auch das emotionale Vermögen.
Bescheidenheit. Finanzieller Reichtum ist eine schöne Sache — aber schwer zu erlangen. Ob man ihn wirklich, wirklich will, ist eine echte Gewissensfrage. Der Preis dafür ist oft hoch. Und dass es damit auch beim stärksten Willen schnell geht, ist sehr selten. Deshalb empfehle ich die Entwicklung von Bescheidenheit. Mit weniger zufrieden sein (zu können), ist eine große Hilfe gerade in unsicheren Zeiten. Oder am Anfang des Berufsweges. Konsum entschädigt für so manchen Stress und Schmerz, doch Konsum verzehrt finanzielles Vermögen. Das Geld ist nach dem Konsum weg. Es steht nicht mehr zur Verfügung, wenn “die Verhältnisse enger werden”. Anders ist das mit Investitionen: sie erhalten das Geld und mehren es sogar. Investitionen können finanzieller Art sein (z.B. Aktienkauf) oder auch ganz anderer Art. Geld ausgegeben für die Stärkung einer Kompetenz, ist auch eine Investition.
Polster. Wer bescheiden ist, hat es auch leichter, Geld zurück zu legen für schlechte Zeiten. Einen Monat, ein halbes Jahr, zwei oder drei Jahre leben zu können ohne Einnahmen, halte ich für eine Tugend. Das erste selbst verdiente Geld sollte deshalb auch dazu dienen, ein solches Polster aufzubauen. Es macht schlicht unabhängig von anderen. Mit dem Geld kann man tun, was man will. Umso länger reicht ein Polster, je bescheidener man lebt und je günstiger die Lebenshaltungskosten. Damit will ich natürlich nicht dazu aufrufen, mönchisch zu leben. Es geht um eine gesunde Balance zwischen Konsum, Investition und Verzicht. Der Zweck: Flexibilität für unsichere Zeiten zu bewahren.
Selbstverantwortlich leben
Ich glaube nicht (mehr) daran, dass Institutionen helfen, die Unsicherheiten des Lebens zu bewältigen. Insofern ist es auch vergebens, für die Reform von Institutionen zu demonstrieren. Demonstrieren hält hin; Zeit für die praktische Verbesserung der persönlichen Lage wird verschwendet.
Die beste Vorbereitung für unsichere Zeiten — und wann waren die Zeiten je nicht unsicher? — ist die Grundhaltung der Selbstverantwortlichkeit. Sich um sich und seine Lieben selbstständig kümmern, das hat eine Chance auf spürbare Veränderung. Vielleicht sollte der Job gewechselt werden, vielleicht der Ort, vielleicht sogar das Land? Das alles kann sein, um die Verhältnisse spürbar besser zu machen.
Die Entscheidung zum Besseren nehmen Institutionen niemandem ab. Wohl dem, der darauf vorbereitet ist. Das bedeutet: Man ist sich bewusst, dass es so ist, und besitzt das umfassende Vermögen, Versuche zu unternehmen, selbst die eigenen Verhältnisse zu verbessern. Vermögen befreit!
Ich wünsche allen den Mut, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Viel Erfolg beim Vermögensaufbau!
Sehr wahr. Schön geschrieben. Ich stimme dir 100% zu.
Das Schöne an diesen „alternativen Vermögen“ ist auch, dass der Staat sie nicht besteuert und es auch in Zukunft nicht tun kann. Damit lohnen sich Investitionen in das persönliche Wachstum immer.
Ich bin C#-Software-Entwickler. Den Wunsch zur Selbständigkeit habe ich schon seit meiner Jugend. Dennoch fehlt mir bis heute der Mut dazu den Schritt zu wagen. Bei der aktuellen Weltlage wird mir aber immer mulmiger und Ich denke darüber nach von Deutschland in die Schweiz auszuwandern.
Ich erinnere mich noch an dein Buch „The Architects Napkin“. Das hat mir damals sehr geholfen.