Wer sieht den Gorilla?
Wieder komme ich mir vor wie in einem psychologischen Experiment, in einem großen, sogar weltumspannenden Experiment. Ich werde aufgefordert eine Aufgabe zu lösen, darauf konzentriere ich mich fleißig, ich befolge die Anweisung, ich komme zu einem Ergebnis, ich darf mich sogar darüber freuen, dass es korrekt ist — doch dann stellt sich heraus, dass es gar nicht darum ging. All meine Mühe war nur eine Ablenkung, damit ich etwas anderes nicht bemerke.
Hier das klassische Experiment für eine kleine Selbsterfahrung dessen, was ich meine. Ich hoffe, ich habe noch nicht zu viel verraten:
Inzwischen ist dieses Experiment schon klassisch und breit bekannt. Für viele Menschen funktioniert genau dieses Experiment deshalb nicht mehr. Entweder wissen sie schon, dass es um einen Gorilla geht. Oder sie ahnen zumindest, dass es um etwas anderes gehen muss als die vordergründige Aufgabe, weil das Experiment in gewisser Weise präsentiert wird.
Einerlei, an der fundamentalen Gesetzmäßigkeit der Wahrnehmung, dass eben die Aufmerksamkeit leicht abgelenkt werden kann und dann auch sehr augenfällige Dinge nicht registriert werden, ändert das nichts. Die Situation muss nur genügend anders — natürlicher, unkontrollierbarer — erscheinen, und schon sind alle mit dem Vordergründigen beschäftigt und übersehen das ansonsten Offensichtliche.
Eben so erscheint mir nun die Welt: Politik und Medien stellen Aufgaben und die Bevölkerung stürzt sich in pflichtschuldige Erledigung — wobei sie das Eigentliche nicht realisiert. Skizzenhaft lauten die Aufgaben zum Beispiel:
Zähle die Corona-Toten!
Achte darauf, dass in deinem Umfeld alle den Maßnahmen folgen!
Zähle die Kriegsopfer!
Achte auf deinen CO2-Fußabdruck!
Spüre Nazis auf und bekämpfe sie!
Achte auf den Gebrauch des Gendersternchens!
Diese und viele andere Aufforderungen bannen die Aufmerksamkeit so sehr, dass der Bevölkerung der Gorilla oder sogar eine Gruppe von Gorillas entgeht. Wie beim Zauberkunststück sind die Menschen ablenkt vom Wesentlichen. Mit einem Unterschied: Beim Zauberkunststück wünscht man sich die Illusion, in der Politik nicht.
Es passiert natürlich beides. Der Basketball wird geworfen und der Gorilla läuft durchs Bild. Die Realität ist also keine andere, als die wahrgenommene. Es gibt keine alternative Realität. Sie ist nur größer. Die Befolgung der Aufgabe verengt den Blick, so dass nur ein Ausschnitt ins Bewusstsein dringt. Und zwar ein Ausschnitt, der durch die Aufgabe bestimmt ist.
Wer die Aufgabe stellt, legt fest, was gesehen wird — und was eben nicht. Selbst interessierte Kinder erfahren das schon:
“Der Zauberer zeigt alles aus einem bestimmten Grund. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf etwas Nebensächliches und das Gehirn des Zuschauers blendet die wichtigen, verborgenen Handgriffe vollständig aus.”, Das ist die wirkliche Magie — Das abgelenkte Publikum
Doch wovon soll die Aufmerksamkeit ablenkt werden? Was ist der Gorilla, der durch das Weltgeschehen schreitet und sich auf die Brust trommelt?
Ich weiß es auch nicht. Ich bin mir unsicher. Von zweierlei bin ich allerdings überzeugt:
Es gibt einen oder mehrere Gorillas.
Die Gorillas sind zu sehen, wenn man die Aufmerksamkeit von der offiziell gestellten Aufgabe abzieht und schweifen lässt.
Umso größer die Aufgabe, je mehr Aufmerksamkeit sie bannt, desto eigentlich sichtbarer auch der Gorilla. Für kleine Gorillas, müsste kein großer Aufwand zur Ablenkung getrieben werden. Die gehen ohnehin unter im üblichen Sperrfeuer der Leitmedienheadlines über Promis, Schurken, Lottogewinner. Wenn der Gorilla aber gewichtig ist und nur langsam vorankommt, braucht es mehr Ablenkung. Am besten mit Knalleffekt.
Verheimlichung ist möglich für das, was wenige angeht. Steuerhinterziehung wird vertuscht. Sie ist lediglich eine Sache zwischen Hinterziehendem und Finanzamt.
Wo es hingegen um viele, um alle geht; wo weitreichende Änderungen an ganzen Systemen und etablierten Verhältnissen nötig sind, da lässt sich nichts verheimlichen. Da sind Prozesse in Institutionen am Werk und es gehört Dokumentation dazu, z.B. in Form von Gesetzen. Solche Veränderung ist unvermeidlich öffentlich — deshalb muss die Aufmerksamkeit abgelenkt werden.
Wer sollte denn aber Interesse an Ablenkung haben? Wenn große, alle angehende Veränderungen nötig sind, sollten doch auch alle darüber informiert sein oder sogar eingeladen, Input zu geben.
Leider musste ich lernen, dass das eine naive, romantische und letztlich ignorante Vorstellung ist. Es gibt genügend Akteure, die Großes vorhaben, aber genau wissen, dass diejenigen, zu deren Nachteil solche Initiative ist, auch großen Widerstand leisten würden, wenn sie denn darüber informiert wären.
Das beginnt beim sprichwörtlichen lokalen Bauunternehmer, der einen Großauftrag von der Gemeinde bekommen möchte. Das endet bei realen Staatenlenkern, die Lügen verbreiten, um Unterstützung durch die Bevölkerung für einen Krieg zu sammeln (siehe z.B. Brutkastenlüge, Massenvernichtungswaffenlüge).
Politik und Industrie haben durchaus eigene Interesse, die ihren Schutzbefohlenen oder Ressourcen widerstreben, deren Verfolgung nicht immer durch Vertuschung möglich ist. Ab einer gewissen Größenordnung müssen sie sich also der Ablenkung bedienen. Das halte ich für eine anzuerkennende Realität. Dass es solche “Projekte” gibt und mit dem Mittel der Aufmerksamkeitssteuerung gearbeitet wird, kann nicht als Verschwörungstheorie abgetan werden. Es zählt für mich zum 1x1 der Macht. Nur Ohnmächtige können oder wollen sich das nicht vorstellen.
Die Frage bleibt: Wenn heute alle Augen auf der Ukraine, gestern auf Corona, vorgestern auf dem Klimakollaps, vorvorgestern auf dem islamischen Terrorismus und davor auf Migrantenhorden waren… was ist darüber hinaus noch passiert, sollte aber nicht bemerkt werden? Wenn die Aufmerksamkeit schon gebannt ist oder leicht gebannt werden kann, bietet sich eine Gelegenheit, in plain sight Dinge zu tun, die sonst unmöglich wären. Solche Gelegenheit werden machtvolle Akteure nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Und selbst wenn die Aufmerksamkeit vor Vollendung eines “Projektes” davon aus den Augenwinkeln etwas mitbekommen sollte und sich ihm zuwendet, ist nicht alles verloren. Wo schon drei Schritte vorwärts gemacht wurden, sind zwei zurück zwar frustrierend, aber kein Beinbruch; unterm Strich gibt es Fortschritt für das “Projekt”. Der Gorilla hatte seinen Auftritt und hat eine Spur hinterlassen. Beim nächsten Mal geht es weiter.
Zur Medienkompetenz gehört für mich, sich der ständigen Möglichkeit bewusst zu sein, bei allem guten Willen doch das Wesentliche zu übersehen. Wann immer wir meinen, dass eine Sache unsere volle Aufmerksamkeit erzwingt, sollten wir uns entgegen unserem Impuls davon nicht bannen lassen. Wir müssen die Fähigkeit entwickeln, immer auch aus den Augenwinkeln Alternatives, Widersprüchliches, gar Widerstrebendes wahrnehmen zu können. Denn es kann sein, dass dort ein Gorilla sein Unwesen treibt.