Die Bahn als Spiegelbild
Die Bahn ist Deutschland; Deutschland ist die Bahn. Das hat mir dieser Beitrag bei LinkedIn gerade wieder deutlich gemacht:
Dazu dann gern noch etwas zum 14. Alternativen Geschäftsbericht Deutsche Bahn AG 2021/2022:
“Es geht vor allem darum, dass das Top-Management der DB AG sich seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten primär als Vertretung eines Global Players versteht, dass diese Bahn-Oberen einen erheblichen Teil ihrer Kapazitäten auf die Global-Player-Entwicklung konzentrieren und vor allem ein Denken in diesen globalen Sphären favorisieren. Für dieses Top-Management, das sich bevorzugt in schweren Mercedes-, Audi- und BMW-Limousinen bewegt, ist die Schiene vor allem altes Eisen.”
Die Bahn bewegt sich nicht — und “die Oberen” sind davon entkoppelt. Sie schweben über den Schienenniederungen; sie leiden nicht an Zugausfällen, Verspätungen, verpassten Anschlüssen, nicht eingespielten Reservierungen, umgekehrten Zugläufen, spielenden Kindern im Gleis, Böschungsbränden oder ausgefallenen Klimaanlagen. Es wird gemanaget vom hohen Ross aus. Da sind die überforderten Zugbegleiter, die zum Einsatzort geflogenen Lokführer und die Fahrgäste nur eine Masse, die es irgendwie zu bewegen gilt. Solange die Zahlen irgendwie stimmen.
“Laut dem neuem Geschäftsbericht Deutsche Bahn AG stieg im vergangenen Jahr der Gesamtumsatz um 18 Prozent auf 47 Milliarden Euro. Das klingt gut. Tatsächlich war es in erster Linie das Auslandsgeschäft, das deutlich wuchs. Und hier war es vor allem die See- und Luftfracht, die dieses Wachstum generierten. [Es] machen allein der Schifftransport und die Luftfracht bereits mehr als ein Viertel des Gesamtumsatzes des Bahnkonzerns aus. Nimmt man die Bereiche Logistik und Lkw-Transporte hinzu, dann entfällt bereits die Hälfte des Gesamtumsatzes auf Nicht-Schienen-Bereiche, teilweise auch auf Sektoren, die in Konkurrenz zum Schienenverkehr stehen.”
Wer mit der Bahn fährt, sitzt anscheinend im Zug nach Nirgendwo. Ankommen Glückssache. Geschichten wie oben bei LinkedIn beschrieben, habe ich zur Genüge selbst erlebt. Bis hin zu so konsequenten Unpünktlichkeiten aller Züge bis zu meinem Ziel, dass ich meine Anschlüsse trotzdem, nein, deshalb alle bekommen habe.
Über Jahre ist es immer schlimmer geworden. Ich war überzeugter Bahnfahrer seit Anfang der 1990er; ich hatte viele Jahre lang eine Bahncard 100. Doch zum Schluss, bevor wir ausgewandert sind, war ich auch an dem Punkt, Freizeit daheim am Vorabend eines Termins zu opfern, um zum Geschäftstermin am nächsten Morgen pünktlich zu kommen, obwohl laut Fahrplan eigentlich auch eine Anreise kurz vorher hätte möglich sein sollen.
Dieser Tage ist nur noch meine Freundin gelegentlich zu Kundenterminen mit der Bahn unterwegs, wenn sich eine Begegnung in Deutschland nicht vermeiden lässt. Keine, aber auch wirklich keine Verbindung, die sie dabei hat nehmen müssen, war pünktlich, oft hatte sie mehrere Stunden Verspätung.
Über die Zuverlässigkeit der Bahn lässt sich einfach nichts Gutes sagen. Die bahneigene Pünktlichkeitsstatistik ist eine Lachnummer. Glaubwürdige Zahlen muss man sich “erhacken”:
Aber in Zukunft soll natürlich alles besser werden! Klar. Der Deutschlandtakt soll es bringen. Ja? Ernsthaft? Der Masterplan wird die marode Bahn retten? Vielleicht der Masterplan für Trudeaus Kanada:
“Dabei soll es in den nächsten Jahren noch zu einer deutlichen Expansion der DB-Engagements im Ausland kommen. Während die DB-Tochter DB Regio im Schienenpersonennahverkehr in Deutschland immer wieder Anteile verliert und unter anderem in der Drei-Millionen-Metropole Berlin in Bälde wohl den S-Bahn-Verkehr insgesamt oder zum Teil aufgeben wird, tätigte der Konzern im April in Kanada einen gewaltigen Deal. Für die Dauer eines Vierteljahrhunderts wird die Deutsche Bahn für einen zweistelligen Milliardenbetrag den gesamten Schienenpersonennahverkehr in der Drei-Millionen-Metropole Toronto übernehmen.”
Ob die Kanadier wirklich wissen, auf was sie sich da einlassen? Aber wahrscheinlich ist denen das egal, weil sie ohnehin aufs Auto setzen. Oder wird Trudeau auch da die Daumenschrauben anziehen und die Menschen in die Bahn zwingen? Warum nicht die Konten einfrieren von Leuten, die renitent weiterhin mit dem Auto pendeln wollen? It’s all for the greater good!
Einerlei. Germany first: Was die Bahn dort abliefert ist… stellvertretend, würde ich sagen. Als bundeseigenes Unternehmen kann das auch nicht verwundern. Wie die Bahn, so Deutschland. Und umgekehrt. Die Bahn als quasi Monopolist ist ein Spiegelbild der Republik:
Astronautenmanager schwelgen in Grandeurphantasien und regieren von oben herab.
Fleißige Bahner im Zug, am Schalter und im Gleis tun ihr Bestes — können das Missmanagement aber nicht kompensieren.
Die Fahrgäste verzweifeln und versuchen ihre kognitive Dissonanz zu ignorieren.
Was macht denn die Bahn?
Die Bahn setzt sich für das Militär ein.
“Das Thema Rüstung hat auch direkt etwas mit der Schiene und dem Bahnkonzern zu tun. Seit 2016 gibt es das EU-Programm „Connnecting Europe Facility“. Diese Bezeichnung – „Europas Fähigkeiten zu verbinden“ – ist bereits George-Orwell-Sprech. Es handelt sich um ein EU-Programm, mit dem europaweit die Schieneninfrastruktur für schnelle Militärtransporte ausgebaut wird. Unter anderem gibt es den Ausbau des sogenannten „740-Meter-Netzes“. Gemeint ist damit ein spezifisches militärisch zu nutzendes Netz, auf dem Güterzüge in einer Länge von 740 Metern Länge, also einem Dreiviertelkilometer, beladen mit Panzern und anderem militärischen Gerät, verkehren können.”
Die Bahn erreicht ihre Klimaziele nicht.
Die Bahn lügt: sie baut ab, statt wie versprochen aus.
Die Bahn lässt ihre Infrastruktur verrotten; deshalb können z.B. ICEs nicht immer die maximale Geschwindigkeit fahren.
Die Bahn funktioniert nur im Glücksfall; Türen lassen sich nicht öffnen, Türen schließen nicht ordnungsgemäß, die Klimaanlage fällt aus oder überheizt, die Reservierungsanzeigen funktionieren nicht, Lokschaden… Alles selbst erlebt, alles kein Einzelfall.
Die Bahn hält ihre Versprechen nicht; das Selbstverständlichste, die Einhaltung des Fahrplans, hat eine Wahrscheinlichkeit, die man sonst im Kasino findet.
Die Bahn setzt Regeln durch und freut sich über Denunzianten; Maske im Zug ist eine Sache, um die sich gern die Fahrgäste bei Abweichlern kümmern und die Schaffner bestätigen dann nur das Urteil der selbsternannten Richter.
Die Bahn will bei den Großen mitspielen, sie will international bedeutsam sein — und vergisst darüber die Fahrgäste im eigenen Land.
Wenn ich in diesen Punkten “Die Bahn” durch “Deutschland” ersetze, bleiben sie wahr. Das finde ich erschütternd. Andererseits: Das finde ich auch hilfreich. Denn wenn ich zukünftig etwas über Deutschland erfahren will, muss ich nur einmal eine Strecke mit zweimal Umsteigen im Winter oder in den Ferien fahren, dann weiß ich, wie es ums Land bestellt ist.
Die Bahn war einmal eine Institution, auf die ich nichts habe kommen lassen. Ich kann mich noch erinnern an Zeiten, da die Bahn einfach funktionierte. Dann war die Bahn mal Hoffnungsträgerin, denn ein Börsengang konnte die Performance nur verbessern. Oder? Und nun ist die Bahn heruntergekommen, marode, ein Pflegefall. Ihr quasi Monopol fürs Pendeln für viele hält sie noch am Leben oder zumindest im Bewusstsein der Bürger. Gäbe es dazu jedoch eine Alternative, dann wäre die Bahn alsbald bedeutungslos. Oder sie wäre endlich da, wo sie anscheinend sein will: nicht auf der Schiene, nicht in Deutschland. Vielleicht sollte man ihr das ermöglichen und einfach auf sie verzichten? Einfach abwandern. Abstimmen mit den Füßen. Dann müssen sich die Astronautenmanager nicht mehr über nervige Fahrgäste aufregen.
Und auch Deutschlands Politiker wären vielleicht glücklicher, wenn sie sich mit weniger Bürgern herumschlagen müssten. Auch ihnen kann mit einer Abstimmung mit den Füßen geholfen werden. In den Niederlanden ist die Bahn pünktlich und auch anderes funktioniert besser als in Deutschland, dito in Dänemark, der Schweiz, Schweden, um nur einige EU-Alternativen zu nennen.
Also: Bitte zurücktreten von der Bahnsteigkante! Wer sich keinem Zug nähert, läuft nicht Gefahr, unter der Bahn zu leiden. Alternativen finden, wo es geht. Nicht einfach hoffen und harren, dass es doch mal besser werden muss. Muss es nämlich nicht. Zuuuurückbleiben! ist das Motto.