Die Medien sind unfrei
Dass die Medien eine Vierte Gewalt darstellten, ist eine Illusion. Es ist eine Geschichte geschrieben von ihnen selbst. Mit ihr versuchen sich die Medien aufzuwerten. Das ist legitim — macht aus der Behauptung aber keine Tatsache. Dieser Wunsch und die Wirklichkeit klafften immer schon weit auseinander. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Dass die Medien keine Vierte Gewalt sein können, folgt aus ihrer Natur: Medien sind Unternehmen, Medienunternehmen, gar Medienkonzerne. Sie leben vom Geld ihrer Kunden. Und wie jedes Unternehmen müssen sie ständig um die Gunst ihrer Kunden buhlen. Medien können nicht anders als dem Motto zu folgen: “Wes’ Brot ist ess’, des’ Lied ich sing’.”
Medien sind Unternehmen und also profitgetrieben. Profit stellt sich um so mehr ein, je besser sie sich verkaufen. Medien sind also käuflich. Daran ist nichts auszusetzen. Nur sollten Medien oder andere gesellschaftliche Akteure nicht versuchen, diese Tatsache zu verbrämen.
Wer sind die Kunden der Medien? Ihre Konsumenten? Nur zum kleinsten Teil. Das Gros der Einnahmen kommt an Werbung, Bezahlinhalten und auch Zuwendungen der öffentlichen Hand oder von NGOs.
Die Medien dienen mithin nicht dem Leser/Zuhörer/Zuschauer. Sie dienen vielmehr den Interessen anderer Organisation, die es sich leisten können, ansehnliche Beträge für die Platzierung ihrer Botschaften zu zahlen.
Medienkonsumenten sprechen zu den Medien nicht “mit einer Stimme”. Es ist eher eine Kakophonie, aus der vor allem herauszuhören ist: “We want entertainment!” Das bedeutet eine Mischung aus Aufregung und Beruhigung. Emotionales Auf und Ab hält Konsumenten bei der Stange. Angst und dann wieder Hoffnung. Womit diese Wellen erzeugt werden, ist ziemlich unerheblich.
Insofern sind die Medien frei, ihren hauptsächlichen Geldgebern zu dienen. Solange sie ihren Konsumenten ein wohliges Auf und Ab bieten, sind die Botschaften recht, die die höchsten Einnahmen versprechen. Wer zahlt, sagt an.
Die Wahrheit spielt unter diesen Bedingungen nur eine untergeordnete Rolle. Nur so viel ist nötig, dass der Schein gewahrt bleibt. Theaterjournalismus statt Vierte Gewalt.
Denn wer würde für die Wahrheit, für Fakten, für hinterfragenden, bohrenden, aufdeckenden Journalismus zahlen wollen? Für Konsumenten ist das ein Lippenbekenntnis wie das für Bio-Produkte: Sobald es an den Geldbeutel geht, ist man mit billig-billig zufrieden. Davon können Medien nicht leben, selbst wenn sie wollten. Also bringen sie, was zahlungskräftige und -willige Organisationen wünsche. Und das kann nicht die Wahrheit sein.
Organisationen — ob Unternehmen, Behörde oder NGO — sind nicht an der Wahrheit interessiert. Auch ihr Lebenselixier ist das Geld. Dafür müssen sie sich passend darstellen, attraktiv sein, also anders erscheinen als sie sind. Ja, auch Behörden; denn sie sind ebenfalls von Finanzierung abhängig.
Die Medien sind unfrei, weil sie am Geld hängen. Und das kommt nicht einmal annähernd in ausreichendem Maß von den Konsumenten.
Schon deshalb können sie keine Vierte Gewalt sein.
Außerdem sind sie nicht demokratisch legitimiert. Von der Gewaltenteilung zwischen Legislative, Judikative und Exekutive nehmen wir das noch an. Doch Medienvertreter sind nie gewählt worden, weder Chefredakteure noch Medienkonzernvorstände. Es sind Unternehmen, die privaten Interessen dienen. Eine verlässliche Kontrollfunktion der Staatsgewalt ist ihnen nicht eingeschrieben.
Und selbst wenn sie eine solche wahrnehmen wollten, hätten sie keinen Zugriff auf Staatsorgane oder -bedienstete. Sie sind immer abhängig vom Wohlwollen der Organisationen, die sie “kontrollieren” wollen. Das bedeutet, sie sind anfällig für Korruption. Sie sind Günstlinge der Macht, statt Vierte Gewalt.
Was bedeutet es angesichts dessen, dass sich die Medien immer noch als Vierte Gewalt darstellen? Sie erhöhen sich selbst. Sie tragen einen Wert zur Schau. Journalismus war insofern immer schon Wertejournalismus. Die eigentlichen und notwendigen Interessen wurden verschleiert. Der Journalist soll ein Guter, ein Wahrheitskämpfer sein. Solch ein Image verkauft sich besser.
Das Gebaren der Medien in den letzten Jahren ist insofern nur konsequent. Sich nicht nur in den Dienst der Wahrheit, sondern der einzigen guten Sache zu stellen, entspricht der Geschichte, die die Medien nicht müde werden von sich zu erzählen: dass es ihnen um Werte geht.
Aber was ist ihnen etwas wert, wirklich wert? Die Nähe zur Macht. Denn dort sitzt das Geld. Dort ist der Hebel, um günstige Bedingungen für die eigenen Aktivitäten zu erhalten bzw. herzustellen.
Für eine historisch kurze Zeit scheinen die Medien die Macht beim Volk, beim Konsumenten verortet zu haben. Daher ihre Geschichte von der Vierten Gewalt. Doch letztlich sind sie wetterwendisch und müssen es auch sein. Es sind Unternehmen; sie brauchen das Geld. Die (Selbst)Verpflichtung zu Wahrheit und Faktizität ist eine romantische Vorstellung. Let’s get real: Damit ist kein Geld zu machen.
Das Leben ist kein Ponyhof. Es wird mit harten Bandagen gekämpft. Der gelegentlich an Wahrheit interessierte Konsument ist nicht potent genug. Also muss etwas anderes auf den Tisch kommen. Ob der Konsument es will oder nicht. Nur wer zahlt, sagt an.
Vierte Gewalt? Das ist lediglich eine hübsche Geschichte. Wir Bürger sind auf uns allein gestellt. Vom Journalismus ist keine Hilfe zu erwarten. Im Zweifelsfall sitzt der ohnehin hinter Gittern.