Fachkräftemangel? Das ist ja noch gar nix!
Manche leiden massiv unter ihm, dem Fachkräftemangel, andere tun das allerdings als Jammern ab. Es gäbe keinen Fachkräftemangel, man müsse nur endlich mal ein ordentliches Gehalt auf den Tisch legen.
Ich glaube allerdings, dass hier ein reales Problem erwacht. Ein Drache regt sich, der die Welt (außer Afrika) massiv bedroht. Und das ist gewisser als der Klimawandel. Denn die Zahlen sind schon da. Man muss nur die Bevölkerungspyramide und die Geburtenrate anschauen.
Geburtenschwund weit unter die replacement rate trifft auf Kapitalismus, also Wachstumszwang.
Unternehmen sind auf Wachstum getrimmt. Das bedeutet nicht nur mehr Umsatz, sondern auch mehr Angestellte. Heutige Unternehmen basieren auf den grünen Kohorten im Bild.
Unternehmen haben z.B. heute 100 Angestellte und wollen, nein, müssen morgen 110, 125, 150 Angestellte haben, um ihre Kredite zurückzahlen zu können. Solange sie sich finanzieren und mit Zinseszins die Kreditgeber bedienen müssen, müssen sie wachsen. Sie brauchen mehr Kapazität - die hat immer noch mit mehr Angestellten zu tun.1
Das Potenzial für zukünftige Angestellte (rote Kohorten) ist aber viel geringer als das heutige und bisherige. Wie sollen also rein biologisch mehr Arbeitsplätze in der Zukunft besetzt werden? Es tut sich eine wachsende Besetzungslücke auf: mehr Stellen aufgrund von Wachstumszwang stehen immer weniger Bewerber gegenüber. Mit Fachkräften im Speziellen hat das nichts zu tun. Es wird ein allgemeiner Arbeitskräftemangel sein: vom Burgerbrater über den Müllmann oder Beamten bis zum Geschäftsführer.
Die Pflegekräftekrise bisher war nur ein müder Vorgeschmack auf das, was sich in naher Zukunft entwickeln wird: a war for hands and heads.
Und dass Afrikaner das ausgleichen wollen oder können, dass Inder zur Hilfe eilen werden, ist nicht zu erwarten. In den nötigen Scharen sind die nicht verfügbar. In der nötigen Qualität sind die nicht zu haben. In der erwünschten Kultur sind sie nicht "ausgebildet".
Die Auswirkungen schon in 10 Jahren werden gravierend sein:
Immobilienausverkauf: Die heute und morgen Alten, haben einen Immobilienüberhang geschaffen, dem die Nachfrage fehlen wird. Alterssicherung durch Immobilien werden implodieren, weil die Preise fallen. Weniger Nachfrage trifft auf größeres Angebot.
Pflegekrise: Weniger Arbeitskräfte, von denen sich noch weniger als bisher für einen Pflegeberuf entscheiden werden, stehen mehr Pflegebedürftigen gegenüber? Das ist ein Rezept für eine massive Krise. Dass weiterhin Pfleger aus Polen oder Portugal zur Verfügung stehen werden, halte ich für unwahrscheinlich. Deren heimischen Märkte haben ja dasselbe Problem. Wer Arbeit sucht, wird sie zuhause finden. Warum nach Deutschland migrieren?
Infrastrukturverfall: Die Bahn hat den Deutschlandtakt nicht umsonst auf 2070 verschoben. Dann wird die Nachfrage so gesunken sein, dass die Zugverbindungen auf ein Maß ausgedünnt werden können, das wieder Zuverlässigkeit zulässt. Man sitzt das heutige Problem einfach aus. Denkt man. Denn wer soll den Infrastrukturerhalt — wenn schon nicht Ausbau — bezahlen, wenn es immer weniger Arbeitnehmer gibt? Welche Steuereinnahmen sollen das richten?
Rentenkatastrophe: Ganz zu schweigen von der Rente, die natürlich nicht sicher ist, sondern verdampft. Wer darauf wettet, dass ihm morgen die Rente von den dann noch Arbeitenden gezahlt wird, setzt auf ein schon halbtotes Pferd. Das Rentensystem wird 2030 nicht überleben in der heutigen Form. Ebensowenig die Krankenversicherungen.
Die Klimakrise ist das größte Problem? Ich denke eher, das löst sich über kurz oder lang von selbst. Viel, viel greifbarer werden die Depopulationsprobleme schon früher sein.
Statt 1,5° braucht es — wenn die Menschheit überleben will — ein anderes Ziel: 2,1. Das ist ihre replacement rate. 2,1 Kinder pro Frau sind nötig, um zumindest nicht zu schrumpfen.
Ich bin gewiss: In 10 Jahren kommt das Motto von 2020 wieder: #stayhome — aber ergänzt um den Hashtag #makechildren. Das wird dann Bürgerpflicht sein. "Hast du schon deinen Beitrag geleistet, um Deutschland zu erhalten?" Flugscham war gestern in 2030. Kinderlosigkeitsscham wird angesagt sein.
Was weitere Automatisation und KI daran ändern wird, wird sich zeigen. Deren Effekte sind weniger gewiss als das sinkende Angebot an Arbeitskräften.