Es ist die extreme Fragilität, die die junge Generation kennzeichnet. Was für ein tragischer Zustand der Welt! Das Gegenteil bräuchte sie, um die Probleme der Zeit zu lösen.
Safe spaces, trigger warnings, Kindergartenkinder mit Warnwesten auf dem Spielplatz, SUVs vor dem Schultor, COVID-19-Masken im Freien, Solidaritätsforderungen bei der Impfung, political correctness, LGBTIQ, Gendersternchen… der gemeinsame Nenner unter diesem Wald aus gehobenen Zeigefingern ist für mich die Angst.
Angst davor, dem, was passieren könnte, nicht gewachsen zu sein: dem Leben.
Das Leben besteht aus Hindernissen, Konflikten, Ablehnung, Misserfolgen, Unfällen, gar Schäden. So ist das mit dem Leben. A lot of shit can happen! Sogar: will happen. Jedenfalls normalerweise. Deshalb trainiert der Mensch solang er lebt. Jedenfalls bisher. Es war geradezu die Definition von Erwachsensein, sich von den “Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks” nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen.
Doch das ist nun eine ganz gestrige Ansicht, scheint mir. Die große Umwertung aller Werte hat auch die Vorstellung davon ergriffen, was das Ziel der menschlichen Entwicklung sein sollte. Robustheit oder Resilienz ist es jedenfalls nicht mehr.
Dass der Mensch Krankheiten selbst trotzen könnte, ist abgehakt. Ohne medizinische Hochtechnologie keine Gesundheit. Heil dir, Impfung!
Dass der Mensch durch Reibung an anderen seinen Charakter bilden könnte, ist abgehakt. Etwas ansichtig werden, was den eigenen Vorstellungen widerspricht, gilt als Verstoß gegen das, was als Korrektheit deklariert ist.
Jede Haltung ist heute nicht nur legitim — Stichwort Meinungsfreiheit oder freie Entfaltung der Persönlichkeit —, nein, sie muss auch völlig widerstandslos von allen anderen akzeptiert werden. Diskutieren ist out. Haltungen müssen nicht mehr erklärt, gar verteidigt werden. Toleranz ist inzwischen zu wenig. Akzeptanz, nein, Wertschätzung jeder Äußerung ist das Gebot.
Sind nicht alle Menschen wunderschöne Schneeflocken? Diese Vielfalt gilt es, endlich zu feiern. Alle sind gleich in ihrer kristallenen Eigenheit — und wer noch nicht gleich ist, der muss jetzt gleich gemacht werden. Nicht nur Gleichberechtigung, nein, Gleichheit ist das Ziel — weil Ungleichheit, also Unterschied, Unwohlsein auslösen könnte.
WTF!
Besser als das Bild der Schneeflocke passt für mich dazu das der Weihnachtskugel. Die aktuelle Generation ist die Generation W wie Weihnachtskugel.
Die Weihnachtskugel hat eine glänzende Oberfläche. Alles ist glatt, makellos. Das Leben ist poliert für Instagram und TikTok.
Einzigartig ist sie nur durch die Spiegelungen der anderen um sie herum. Sie wirft ihre Umgebung zurück; ohne Kerzenlicht und Nähe ihresgleichen ist sie unansehnlich, ein Massenprodukt.
Vor allem jedoch ist die Weihnachtskugel hohl. In ihr ist keine eigene Persönlichkeit, die sich an der Oberfläche zeigt. Da ist nur Luft umschlossen von einer dünnen Schale.
Die Weihnachtskugel hat keine Masse. Harter Kern? Fehlanzeige. Ihre Hülle ist kein Schutz; die zerbrechliche Schale hat keine eigene Stabilität. Aus sich selbst heraus kann die Weihnachtskugel keinem Stress durch ihre Umgebung widerstehen. Sie kann daher nicht anders, als ständig in Angst vor Druck zu sein; etwas härter angefasst zu werden, gar fallen gelassen, ist eine existenzielle Bedrohung für sie.
Am besten geht es der Weihnachtskugel deshalb mit Abstand zu anderen am Weihnachtsbaum in friedlicher Umgebung und angestrahlt von mildem Kerzenschein. Hier zeigt sie sich von ihrer besten Seite; sie bringt sich ein, um ein harmonisches Ganzes in gegenseitiger Reflexion zu bilden.
Oder sie schmiegt sich eng zusammen mit ihresgleichen in einem safe space, der für Außenstehende klar erkennbar ist, so dass niemand auf die Idee kommt, die versammelten Weihnachtskugeln unangemessen zu behandeln. Der Schmerz jeder einzelnen ist hier der Schmerz aller. Solidarisch bewegt sich keine aus der Reihe — es droht ja die Gefahr, in eine Umgebung zu geraten, die ihrer dünnen Schale unbekömmlich ist.
Das Leben der Generation Weihnachtskugel ist eines in Angst. Wie könnte es auch anders sein? Sie ist abhängig davon, dass ihre Umwelt sie mit Samthandschuhen anfasst. Ihr fehlt jedes Mittel, für sich selbst zu sorgen. Fürsorge ist deshalb zwangsläufig ihr Begehr.
In den social media sucht sie zuerst Anschluss über follow to follow, dann mittels like to be liked und schließlich care to be cared for. Empathieäußerungen sind weniger genuin, als vielmehr Mittel zum Zweck, selbst bei Bedarf Empathie zu empfangen. Ich werde geliket, also bin ich.
Dort kann die Weihnachtskugel Nähe simulieren, ohne wirklich Abstand aufgeben zu müssen. Sie befindet sich in Sicherheit. Glaubt sie zumindest. Denn in den social media tummeln sich nicht nur Weihnachtskugeln. Billiardkugeln und Abrissbirnen sind eine ständige Gefahr. Das weiß die Weihnachtskugel auch — und sucht folglich umso mehr ihresgleichen, um im Notfall durch schiere Masse Stressoren zu übermannen oder zu entfernen. Cancelation ist einfacher als Toleranz und erwachsene Auseinandersetzung.
Aber manchmal geht es doch schief. Bei aller Mühe will sich niemand auf der Oberfläche spiegeln. Die Likes bleiben aus. Des Lebens Härte will sich nicht durch Fürsorgebitte abwenden lassen. Da bekommt die Weihnachtskugel einen Riss oder geht sogar kaputt. Kein harter Kern, keine flexible Hülle, die dem Zusammenstoß mit dem unerbittlichen Leben etwas hätte entgegensetzen können.
Wie traurig ist doch das Bild, dass diese Generation abgibt. Oberflächlicher Glanz in Abhängigkeit von äußeren Lichtquellen und Samthandschuhen.
Warum ist da kein Wille, zumindest ein Fußball zu werden? Fußballer, ja, das wollen manche Weihnachtskugeln werden, ohne sich ein Bild davon zu machen, welchem Stress sie dann ausgesetzt wären. Fußball hingegen, nein, in Fußbälle wollen sie sich nicht verwandeln. Eine flexible Hülle, die auch Tritten standhält, ist ihre Sache nicht.
Oder eine Nuss, eine harte Haselnuss, nein, die wollen sie auch nicht sein. Ebensowenig eine Billiardkugel, die einigen Druck aushält.
Und ganz außerhalb ihres Vorstellungshorizonts ist es, wie der Erdenball zu werden: eine belebte Kugel mit brodelndem Kern in ständiger Entwicklung, für sich selbst sorgend, sich selbst heilend. Denn während Fußball, Haselnuss und Billiardkugel “nur” robuster sind als die Weihnachtskugel, ist die Erde antifragil.
Die Generation W wie Weihnachtskugel schwebt durchs Leben mit dem Aufkleber “Vorsicht! Zerbrechlich!”
Würde sie sich ermannen und zur Generation F wie Fußball werden, dann bräuchte sie diesen Aufkleber nicht mehr. Dem Fußball ist es recht, wenn er getreten wird. Dafür ist er gemacht. Es ficht ihn nicht an. Er kann das Spiel des Lebens ohne Angst mitmachen.
Eine Generation G wie Gaia jedoch… die wäre wahrhaft zukunftsfähig! Eine Generation Gaia hätte keine Angst vor Stressoren. Sie würde sich “Bitte schütteln!” oder “Bring it on!” auf ein sichtbares Körperteil tätowieren lassen. Das wäre ein Statement! Damit wäre ein Start in die als ungewisser denn je proklamierte Zukunft zu machen.
Mit Weihnachtskugeln hingegen… Ich habe da wenig Hoffnung. Eine verlorene Generation, die mit Mitgefühl in einen safe space verpackt werden sollte, um dort Erwachsenen nicht im Wege zu liegen.
PS: Aber ist denn die Generation Greta nicht die Generation Gaia? Nein.
Der Grund ist simpel: Die Generation Greta fordert. Fridays for Future sind Veranstaltungen, die anklagen. Eine Veränderung der Politik soll erzwungen werden durch öffentliche Zurschaustellung von Unzufriedenheit. Und das war’s.
Greta und all die, die Fridays for Future organisieren, unternehmen keine Anstalten, um sich selbst im Hinblick auf Taten zu organisieren (collective action). Nein, damit meine ich nicht Aktivismus in Form von Straßenblockaden oder dergleichen. Ich meine Taten im Sinne eigener, selbstverantwortlicher Veränderung. Wo solche Massen scheinbar tief frustriert sind, wäre doch das allerbeste Zeichen, die Veränderung massenhaft tatkräftig selbst zu sein. Verändern statt demonstrieren. Was ließe sich alles beim Konsum und den täglichen Verrichtungen ändern, um ein Signal an die zu senden, von denen bisher nur bequem gefordert wurde? Ein Signal das verstanden wird: das ist ausschließlich eines, das zu deren Wertesystem passt. Für Unternehmen ist das ein Umsatzsignal. Für Politiker ist das landläufig ein Wahlstimmensignal, aber das kann nur selten gesendet werden; also muss es ein Signal sein, dass sie “im Hier und Jetzt” unmittelbar spüren. Was wäre eine echte Störung der Politikerkreise? Hier könnte die Generation Greta kreativ werden. Allein, sie tut es nicht. Sie begnügt sich mit Auftritten im UN-Zirkus als putzige Attraktion. Denn Weihnachtskugeln fürchten selbstverantwortete Veränderung; wer sich freiwillig vom Christbaum löst, kann doch nur auf dem Boden zerplatzen. Das will niemand. Die Generation Greta ist nicht antifragil.
PPS: Natürlich ist meine Diagnose “Generation Weihnachtskugel” pauschal. Ich tue damit manchen Mitgliedern der Alterskohorte, die ich nicht näher definiert habe, unrecht. Auch in ihr gilt eine Normalverteilung: manche der Kohorte gehören sogar der Generation S wie Seifenblase an, die meisten jedoch sind Weihnachtskugeln — und manche, ja, manche sind doch Fußbälle oder gar Erdenbälle. Es gibt alle Entwicklungsstadien, nur sind sie nicht gleich verteilt. Das Muster in der Mehrheit, das ich sehe, ist eben eines, für das ich das Etikett “Weihnachtskugel” stimmig finde.
Treffender kann der Vergleich nicht ausfallen. "Vor allem jedoch ist die Weihnachtskugel hohl. In ihr ist keine eigene Persönlichkeit, die sich an der Oberfläche zeigt. Da ist nur Luft umschlossen von einer dünnen Schale."
Ja, das Etikett "Weihnachtskugel" ist tatsächlich sehr stimmig für einen großen Teil der Gesellschaft, der die offene und kritische Diskussionskultur abhanden gekommen ist. Persönlichkeiten mit eigenem Standpunkt machen den Weihnachtskugeln meist angst, weil sie nicht behutsam genug sind und nicht im gleichen bequemen Strom mitschwimmen, in denen eine Kugel der anderen gleicht. Gleichsein um jeden Preis, bedeutet schlussendlich identisches Mindset in einer Scheinwelt aus plumper Unterhaltung und billigen Plastikprodukten.
Wie du richtig sagst, es ist pauschal betrachtet, aber auf einen Großteil trifft es zu.
Als ich vor Jahren mit Bekannten ein Brettspiel spielte und am Ende den Verlierer benannte wurde ich berichtigt, dass es keinen Verlierer gibt, sondern den ersten bis dritten Platz und alle anderen Vierter sind. Ich konnte nicht vor Lachen, aber sie meinten es ernst. Das sagt alles, über dieses fragile Mindset aus. Es ist der Punkt an dem wir direkter werden und Dinge beim Namen nennen sollten. Schocktherapie für eine jammernde Herde von Weichlingen, die keine Argumente hat und beim kleinsten Gegenwind mit ihrer "Cancel Culture" droht.