Gestern sah ich eine Reportage über den Versandriesen Amazon, an dem natürlich jede Menge Kritik geübt wurde. Diese Kritik ist nicht unberechtigt. Aber letztlich wurde mir klar, dass Amazon zumindest nicht alleine die Schuld trägt, sondern mindestens auch das Verhalten von Kunden und Händlern.
Amazon tut nur das, was clevere Unternehmen tun, um zu wachsen. Der Reportage zufolge sollen nun zentrale Behörden der EU eingreifen und regulieren.
Mir geht es in diesem Beitrag keinesfalls darum, Schuldige auszumachen oder zu urteilen. Ich möchte lediglich analysieren und meine Feststellungen teilen.
In der Reportage wird sehr oft über die sogenannte Buy-Box gesprochen. Das ist die Box, die der Kunde eingeblendet bekommt, damit er das gewünschte Produkt erwerben kann. Diese Buy-Box bekommt aber nur derjenige Händler, der den günstigsten Preis kombiniert mit einigen anderen Merkmalen wie Lieferzeit und Zuverlässigkeit anbietet.
Das klingt nachvollziehbar und ist dem Konsumenten natürlich dienlich. Keine Frage. Natürlich führt dies dazu, dass Händler ihre Preise ständig korrigieren müssen, um überhaupt eine Chance zu haben, etwas zu verkaufen.
Im Klartext heißt das, es gibt unterschiedliche Händler, die allesamt identische Produkte anbieten und gezwungen sind, im Preis zu konkurrieren, weil sie denselben zentralisierten Marktplatz nutzen. In der Reportage wird gezeigt, dass stationäre Händler ihr Geschäftsmodell um den Amazon Marketplace erweitert haben, um damit Kunden in anderen Regionen zu erreichen.
Übertrage ich dieses Modell in die analoge Welt, wird das Problem dieses Modells schnell ersichtlich.
Gehen wir davon aus, 100 Händler beziehen absolut identische Modelle eines Fahrrads vom selben Hersteller. Die Einkaufskonditionen variieren für die Händler je nach Abnahmemenge und Verhandlungsgeschick. Diese Händler leben allerdings in unterschiedlichen Regionen, weswegen es letztendlich wenig relevant ist. Anhand der lokalen Gegebenheiten wie Nachfrage, demographischen Faktoren und Einkaufspreisen kalkulieren sie ihre Preise. Soweit fühlt sich alles als recht natürlich an, denn der Händler ist im Grunde das Tor zu regionalen Kunden für den jeweiligen Hersteller.
Stellen wir uns diese Händler nun alle gemeinsam auf einem Marktplatz vor. Auf einmal wird nun sichtbar, dass sie keine Alleinstellungsmerkmale besitzen, da sie genau genommen nur der Vertrieb für ein und denselben Hersteller sind. Da die Produkte sich nicht unterscheiden, kann der Kunde nur noch über den Preis entscheiden, wo er kauft. Auf dem analogen Markt könnte möglicherweise Sympathie noch ein zusätzliches Kriterium sein, was auf einem anonymen Online-Marktplatz entfällt, wiederum ggf. durch Bewertungen ersetzt wird.
Für mich ergibt sich daraus, dass für den Verkauf identischer Produkte, ausschließlich dezentralisierte Händlerstrukturen mit dedizierten Märkten sinnvoll sein können. Zentralisiert verliert der Händler seine Existenzberechtigung, da er dann kein echtes Alleinstellungsmerkmal mehr besitzt. Bei den meisten Produkten handelt es sich um billige, ersetzbare Massenware. Für den Kunden macht es demnach keinen wirklichen Unterschied, bei wem er kauft, es sei denn es gibt signifikante Unterschiede bei Lieferzeiten oder Rücknahmebedingungen. In der EU gibt es allerdings Richtlinien, die den Händlern diesbezüglich ohnehin kaum Spielraum bieten.
In dem Beitrag gab es zudem ein Beispiel, bei dem sich der lokale Händler die Ware aus China in sein Lager liefern ließ, um sie dann wiederum ins Amazon Zentrallager bringen zu lassen.
Konkret bedeutet dies, dass das Produkt dabei vom zentralen Hersteller an einen dezentralisierten Händler geliefert wird, um dann im Lager eines zentralisierten Marktplatzes zu landen.
Zentral -> Dezentral -> Zentral
Hier ist meiner Meinung nach deutlich zu erkennen, wie sich Händler selbst überflüssig machen. Was sollte Amazon oder auch die Hersteller zukünftig davon abhalten, direkt Geschäfte miteinander zu machen? Wozu der Mittelsmann, wenn er doch so leicht ersetzbar ist? Wer braucht den Händler, wenn er auf dem zentralisierten Markt gar keine Chance hat, einem Kunden einen echten Mehrwert zu bieten? Der einzige Nutzen für den Kunden besteht aktuell vielleicht im brutalen Preiskampf der gesichtslosen Händler auf dem Amazon Marketplace. Diesen Preiskampf haben sie allerdings selbst heraufbeschworen.
Das zentrale Problem für die Händler besteht darin, dass sie dummerweise einen durch den natürlichen Bedarf dezentral strukturierten Markt zentralisiert haben, aber gleichzeitig nicht in der Lage sind, Einzigartiges anzubieten. Sie haben ihre Konkurrenten quasi selbst herbeigerufen.
Möglicherweise haben einige dabei gewonnen, aber in einem derartigen Spiel muss es naturgemäß Verlierer geben, da sich der Markt nicht vergrößert hat. Wenn ich mir online ein Fahrrad kaufe, was mir ein Händler aus Hamburg liefert, werde ich kaum dasselbe Modell nochmals beim Händler in Chemnitz vor Ort kaufen.
Was wir dabei alle verloren haben, sind vor allem Einzigartigkeit und Vielfalt.
Uniformität und Gleichschaltung scheinen dem Zeitgeist unserer Gesellschaft zu entsprechen. Nicht nur beim Konsum.
Amazon hat dabei nur eine Chance ergriffen und damit das genutzt, was in der Entwicklung weg vom Besonderen und Einzigartigen hin zum Einheitsprodukt aus Massenproduktion, absehbar war. Die Händler haben es einfach versäumt, einzigartige Produkte zu finden, flexibler und kundenorientierter zu werden sowie den Einkauf zu einem besonderen Erlebnis zu machen.
Zentralisierung ist ein strukturelles Problem, welches meiner Ansicht nach stets zu weniger Vielfalt führt. Bleibt abzuwarten, wie lange es noch dauern wird, bis sich der Trend weg vom billigen Massenprodukt hin zum individuellen Besonderen umkehren wird.
Im Grunde würden Händler gut daran tun, sich selbst neu zu erfinden, eigene Services zu etablieren, als sich ständig einem Monopolisten anzubiedern und nur mit zu laufen.
Das Verlangen nach dem Besonderen und Individuellen wird mit Sicherheit auf Monotonie folgen.
Spot on! Beobachte ich schon lange mit Interesse beim Buchhandel als einer Händlersparte, sogar der, mir der amazon angefangen hat. Ich habe kein Mitleid mit dem stationären Buchhandel.
Klar, ich gehe gern auch mal in eine Buchhandlung. Die Präsentation ist anders als online: ein gewisses Erlebnis. Das Stöbern macht da nochmal anders Spaß. Aber der Buchhändler ist überflüssig. Ich komme in dem show room allein zurecht. Ich brauche auch keine Kärtchen in Büchern mit Empfehlungen des Buchhändlers. Wenn ich mehr wissen will, suche ich das Buch online bei amazon od goodreads raus. Und da bestelle ich es gleich - als digitale Version. Die ist günstiger u gewichtslos.
In 27 Jahren hat der Buchhandel sich nicht bewegt, um auf amazon zu reagieren. Oder, nein, er hat reagiert: Er verkauft jetzt auch noch „Gimmicks“ rund ums Buch. Aber was soll das…
Konsequent wäre, wenn amazon nun show rooms für Bücher im Zusammenhang mit Kaffees eröffnen würde, mit coworking space. Neue Räume für den Rückzug in der Stadt. Bücher zum Anfassen. Alles nur Präsenzexemplare, kein Lager. Wer kaufen will, kauft online bei amazon. Einfach den QR Code scannen. Lieferung in den Laden für einen Rabatt, ansonsten frei Haus.
Die Verlage werden eingeladen, den show room kostenlos auszustatten. Gut organisiert könnte der show room viel mehr Bücher zum Anfassen bieten als eine Buchhandlung.
Buchhändler waren aus meiner Sicht nie inhaltliche Experten. Sie waren reine Händler, also middlemen. Sie haben sich mit Logistik u Lager ausgekannt. Fertig. Aber das braucht man heute nicht mehr. Damit hat sich der traditionelle Buchhandel überlebt. RIP.
Buchverkauf vor Ort macht angesichts von amazon nur Sinn über eine Mehrwert unabhängig von Logistik u Lager. Welcher kann das sein? Ich denke nicht, dass der im Buch steckt. Am Buch verdienen zu wollen, macht aus meiner Sicht keinen Sinn mehr. Dem gibt es auch nichts nachzuweinen.
Solange Logistik so billig ist, wie heute, kommt der Buchhandle auch nicht zurück.
Das gilt auch für andere Händler. Mit Beschaffung u Lager ist kein Blumentopf zu gewinnen.
Wofür wären Käufer bereit zu zahlen? Für wirklich gute Beratung. Für Reparatur.
Reparatur setzt voraus, dass sie lohnt gegenüber Neukauf. Beratung setzt Unübersichtlichkeit u Unabhängigkeit voraus.
Wenn die Preise weiter steigen, dann kann sich Reparatur wieder lohnen.
Und Beratung sollte entkoppelt werden von Verkauf. Warum nicht bezahlen für Beratung? Das lohnt natürlich nur bei teureren Produkten. Bei Kauf wird der Beratungspreis angerechnet.
amazon plus billigste Logistik sind der game changer. Solange es nicht massiv teurer wird, sich jeden Bleistift nach hause liefern zu lassen, gibt es keine Aufgabe für stationären/lokalen Handel. Das mögliche Vertrauen, das ich in einen Verkäufer (!) haben kann, wiegt die Nachteile nicht auf.
Aber letztlich ist alles eine Wellenbewegung, wie du schon sagst. Der stationäre Handel kommt irgendwann wieder - nur anders. Ehrlicher, klarer, differenzierter glaube ich. Weil dann der Bedarf, den er decken kann, deutlicher ist.