Der unabhängig Beschäftigte lässt das Unternehmen für sich arbeiten. Er nimmt an Bequemlichkeit mit, was das System für Angestellte zu bieten hat:
Easy to enter, easy to leave
Kein Aufwand für die Steuererklärung
Keine Gefahr der Abmahnung durch Wettbewerber
Keine persönliche Haftung
Bezahlter Urlaub
Bezahlte Krankheitstage
Bezahlte Ausbildung
Bezahlte Übergangszeit zwischen Beschäftigungen
Die gesetzliche Krankenkasse kann für Alleinstehende zwar verhältnismäßig teuer sein, für Familien bietet sie hingegen Kostenvorteile. Bei genügend hohem Gehalt kann der unabhängig Beschäftigte aber auch eine private Krankenversicherung wählen.
Unschön ist allerdings der Zwangsbeitrag zur Rentenversicherung. Um den kommt der Angestellte nicht herum. Das ist misslich — aber kann, so denke ich, als Preis für die sonstige Bequemlichkeit angesehen werden.
Denn zu der kommen noch die Leistungen des Unternehmens hinzu:
Marketing und Sales werden durch den Arbeitgeber geleistet
Büroeinrichtung und Werkzeuge werden durch den Arbeitgeber gestellt
Mitarbeiter werden durch den Arbeitgeber gestellt
Gemeinschaft wird durch den Arbeitgeber organisiert
Benefits wie preisgünstiges Essen, ÖPNV-Zuschuss, gar Kinderbetreuung können vom Arbeitgeber angeboten werden
Das ist eine Menge, oder?
Ja, auch hier gibt es Wermutstropfen wie Bürokratie-Overhead oder Reporting ans Management — doch auch als Selbstständiger ist die Arbeit nicht nur Sonnenschein. Insofern verbuche ich auch das auf das Konto des Preises, der für die Bequemlichkeit und Einkommensverlässlichkeit zu zahlen ist.
Unterm Strich bleibt trotzdem eine Menge. Ich denke, es lohnt sich, als freier, unabhängiger Geist, diese Option in Betracht zu ziehen:
Der unabhängig Beschäftigte sieht aus wie ein abhängig Beschäftigter, er ist in der Form ein “ganz normaler Angestellter” — innerlich allerdings ist er ein Rebell, ein Hacker.
Der unabhängig Beschäftigte ist ein Selbstständiger in Verkleidung. Er zieht sich den Mantel eines Angestellten über, weil er sich auf die Weise mehr auf das konzentrieren kann, was er kann. Das Angestelltenverhältnis entbindet ihn von der Not, sich selbst zu vermarkten, selbst Kunden “aufzureißen”, selbst mit unzufriedenen Kunden umzugehen, sich selbst Rechtssicherheit zu verschaffen, selbst mit dem Finanzamt über Feinheiten der Umsatzsteuerabrechnung mit Auslandskunden und andere Dinge zu verhandeln, sich um Aufbewahrungspflichten zu kümmern usw. usf. All das und viel mehr überträgt er einfach an das ihn anstellende Unternehmen.
Dafür bezahlt er das Unternehmen natürlich. Nichts ist umsonst im Business. Er zahlt mit einem fixen Gehalt, bei dem er nicht gewinnbeteiligt ist. Andererseits muss er auch kein Risiko mehr tragen. Er zahlt mit Zwangsbeiträgen zu Rente und Versicherungen. Er zahlt auch mit eingeschränkter Freiheit z.B. in Bezug auf Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsortwahl oder Urlaubszeiten.
Andererseits ist die Selbstständigkeit auch nicht ohne Kosten. Manche sind finanziell, andere emotional. Die unabhängige Beschäftigung ist also nicht einfach die beste Wahl, sondern will gegen andere Formen der Unabhängigkeit abgewogen werden.
Ich halte sie jedoch für eine Option. Eine bisher im Grunde unterschätze, wenn nicht sogar unentdeckte Option. Sie steht für mich in einem Spektrum der Unabhängigkeit in der Mitte:
Wenn ich mit abhängig Beschäftigten über mein Leben als Selbstständiger spreche, sehe ich nicht immer sehnsuchtsvolle Blicke, sondern auch schiere Abneigung. “Nein, das wäre nichts für mich. All dieser Aufwand für Marketing und Verkauf. All diese Unsicherheit, wann das Geld von den Kunden kommt.” oder “Ich könnte mich und meine Produkte nie so anpreisen.” sind Kommentare, die klar machen, wie sehr viele ein Arbeitsdasein als Angestellte schätzen. Ja, es schränkt sie ein, doch andererseits schützt es sie vor einigen Unsicherheiten und bewahrt sie in ihrer Komfortzone.
Ist das schlecht? Bisher habe ich etwas unverständig den Kopf geschüttelt. “Wie kann man sich nur so einengen und gängeln lassen? Ist Freiheit nicht wichtiger als Bequemlichkeit?”
Doch jetzt habe ich nochmal nachgedacht. Der Form der Anstellung kann ich etwas abgewinnen, wenn, ja, wenn eine Bedingung erfüllt ist: die Unabhängigkeit.
Solange die Haltung die eines Selbstständigen ist, solange sich der Angestellte die Freiheit bewahrt, jederzeit aufstehen und gehen zu können, wenn ihm die Leistungen des Unternehmens nicht mehr taugen, wenn er also jederzeit bereit ist, den Anbieter von Marketing, Verkauf, Rechtsbeistand, Buchhaltung zu wechseln… solange ist die Form einer Anstellung ein geradezu cooles Mittel, um sich nerviger oder unbequemer Tätigkeiten zu entledigen.
Es ist die Haltung zählt!
Der abhängig Beschäftigte ist in der Haltung des Gehorsamsleistenden. Für ihn gibt es Vorgesetzte, die ihn beschäftigen. Er ist von der Gnade seiner Führer abhängig. Er lässt sich bezahlen für Befolgung von Anweisungen.
Der unabhängig Beschäftigte hingegen ist in der Haltung des Selbstständigen. Er sucht sich seinen Partner aus, an den er Aufgaben delegieren kann. Er wählt die Arbeitsumgebung, die zu ihm passt. Es gibt für ihn keine Vorgesetzten, sondern nur Dienstleister, die ihm mit Aufträgen zuarbeiten oder mit ihm an der Bewältigung kooperieren. Gehorsam ist für ihn keine Kategorie; er fühlt sich auf Augenhöhe mit jedem bis hinauf zum Geschäftsführer. Von dessen Gnade ist er nicht abhängig, sondern umgekehrt hat er an ihn Essenzielles outgesourcet — und fühlt sich in der Position, diese Entscheidung jederzeit rückgängig zu machen.
Wer aus dieser Haltung heraus sich anstellen lässt und sein Leben in der Hand behält, hat all meinen Respekt. Der unabhängig Beschäftigte ist als Freidenker niemandes Untertan. Er surft das vorherrschende System, er nutzt es geschickt in seinem Sinn. Er fühlt sich unabhängig von seinen arbeitgebenden Dienstleistern, er fühlt sich auch unabhängig von einer Anstellung. Doch für gewisse Zeit, in gewissen Lebensumständen schätzt er das, was das System bietet höher ein als die Alternative voller Selbstständigkeit.
Der unabhängig Beschäftige ist ein Hacker des einen Systems “to rule them all”. Niemand rechnet mit ihm, so wie Sauron nicht mit Frodo gerechnet hat.
Interessanter Denkansatz. Am Anfang dachte ich, wieso schreibst du „unabhängig Beschäftigter“? Theoretisch und in einigen bestimmten Fällen könnte das möglicherweise so funktionieren. Der Großteil wird allerdings abhängig beschäftigt sein: Abhängig von festen Arbeitszeiten, Dienstplänen, Urlaubsplanung usw.
Aber am Ende sind auch freie Unternehmer abhängig von ihren Auftraggebern.
Sympathisch finde ich trotzdem den Gedanken die lästigen Dinge einfach abzugeben. Aber diese Option hat der Selbstständige im Grunde auch, in dem er jemanden dafür beschäftigt. Nur kann er die Verantwortung nicht komplett abgeben. Ich denke beide Ansätze haben ihre Vor- und Nachteile.
Auf der anderen Seite wünschte ich mir natürlich, dass generell jeder mehr Verantwortung für sich selbst übernehmen würde. Wäre jeder selbstständig, dann würde sich das Gefühl der Verantwortung und Freiheit verteilen. Am Ende bräuchten wir wiederum weniger Staat, der vorschreibt und reguliert. Dann hätten wir wiederum auch weniger lästige Dinge am Fuß kleben.