Mit einer Mischung aus Neugier und Verzweiflung navigiere ich durch das Labyrinth der heutigen digitalen Welt. Dabei stoße ich immer wieder auf die berüchtigten 'Alleskönner', die mehr Probleme zu verursachen scheinen, als sie lösen. Nämlich die, die mit dem Versprechen auftreten, unseren Alltag zu erleichtern, aber letztendlich das Chaos nur verschlimmern.
Nehmen wir beispielsweise WordPress, das "Schweizer Taschenmesser" der Webentwicklung. Nun, es "Webentwicklung" zu nennen, ist so, als würde man das Zusammenbauen eines IKEA-Möbelstücks "Architektur" nennen. Es verspricht, alles zu können - von der einfachen Blog-Erstellung bis zur komplexen E-Commerce-Website. Doch in Wirklichkeit scheint es sich in seinem eigenen Dschungel an Möglichkeiten zu verirren. Ich frage mich oft, ob es jemals einen Punkt gibt, an dem WordPress sagt: "Genug ist genug, ich konzentriere mich jetzt auf das, was ich wirklich gut kann". Aber dann erinnere ich mich daran, dass Software leider nicht über das Selbstbewusstsein verfügt, um solche Entscheidungen zu treffen.
Die ganze Szene erinnert mich an einen übereifrigen Kellner in einem Restaurant, der immer wieder an den Tisch kommt, um zu fragen, ob wir noch etwas brauchen. Aber anstatt sich nur um Getränke und Speisen zu kümmern, will dieser Kellner auch die Beleuchtung justieren, die Temperatur anpassen und uns eine Auswahl von 15 verschiedenen Stuhlkissen präsentieren. Ja, es ist gut, Optionen zu haben, aber wenn die Optionen zur Ablenkung werden, haben wir ein Problem.
Offensichtlich habe viele bis heute nicht verstanden, dass bei einer guten Software niemals um die Anzahl der Features geht, die man in eine Anwendung packen kann, sondern darum, wie gut diese Features umgesetzt sind.
Die "Alleskönner" unter den Software-Tools scheinen das vergessen zu haben. Statt sich auf ihre Stärken zu konzentrieren, verzetteln sie sich in einem Wust an Einstellungsmöglichkeiten und Funktionen. Es ist, als würde man versuchen, einen Elefanten durch ein Nadelöhr zu schieben. Und wir wissen alle, wie das ausgeht.
Und was ist mit den bekannten ERP-Systemen? Sie erinnern mich an einen ehrgeizigen Jongleur, der ständig mehr Bälle in die Luft wirft, in der Hoffnung, dass keiner von ihnen zu Boden fällt. In der Theorie ist ein ERP-System ein brillantes Konzept - alle Unternehmensprozesse gebündelt in einer Software. Aber in der Praxis? Da haben wir ein monströses System, das so komplex ist, dass es eher einem Labyrinth als einer effizienten Geschäftslösung ähnelt.
Da ist dieses alte Sprichwort: "Wenn es nicht kaputt ist, repariere es nicht." Und dann gibt es ERP-Systeme, die mit der Taktik "Wenn es nicht kaputt ist, werfen wir es weg und ersetzen es durch etwas, das so kompliziert ist, dass wir es niemals vollständig verstehen werden" zu operieren scheinen.
Ich erinnere mich an einen Fall, in dem ein Unternehmen ein ERP-System einführte und sein bewährtes, altmodisches Bestell- und Lieferprozess durch ein ERP- System eines bekannten Herstellers ersetzte. Im Ergebnis konnten die Mitarbeiter nicht einmal eine einfache Bestellung aufgeben, ohne einen dreitägigen Schulungskurs in "Wie man ein ERP-System bedient, ohne den Verstand zu verlieren" zu absolvieren.
Und dann der Tag, an dem die ersten Bestellungen über das neue System eingingen. Die Mitarbeiter erinnerten sich, wie einfach es früher war: Bestellung aufnehmen, Ware verpacken, Lieferung organisieren. Aber jetzt? Und nun: ein Roboterarm, der die Ware so sorgfältig verpackt, als würde er ein neugeborenes Baby einwickeln. Sie haben einen Lieferservice, der die Pakete mit einer Drohne ausliefert und dabei so viele Probleme hat, dass sie sich wünschten, sie könnten einfach wieder mit dem alten Lieferwagen losfahren.
Ein rückgängig gab es nicht mehr, da die Einführung eines solchen Systems natürlich Unsummen verschluckt hatte. Und naja, die anderen machen es ja auch…
Schließlich kommen wir zu Discord, dem jüngsten Star am digitalen Himmel. Ich muss zugeben, dass ich mich beim ersten Blick auf Discord gefragt habe, ob sie einen Wettbewerb für die komplexeste und hässlichste Nutzeroberfläche gewinnen wollten. Es erinnert mich an einen unübersichtlichen Basar, auf dem man nie sicher sein kann, ob man gerade eine kostbare Antiquität oder nur billigen Tand in den Händen hält.
Die Ironie ist, dass all diese Systeme gegen den einfachsten und wichtigste Grundsatz in der Softwareentwicklung verstoßen: "Do one thing and do it well".
Dieser Grundsatz wird oft dem Unix-Betriebssystem und seiner Philosophie zugeschrieben. Die Unix-Philosophie betont die Einfachheit und die Ausrichtung auf kleine, präzise Werkzeuge, die jeweils eine spezifische Aufgabe sehr gut erfüllen. Diese Werkzeuge können dann durch "Pipes" miteinander verbunden werden, um komplexe Aufgaben zu erfüllen - eine Art modulare Bauweise, die Einfachheit und Effizienz gewährleistet.
Dieser Mangel an Fokus führt zu Systemen, die nicht nur verwirrend und schwer zu bedienen sind, sondern auch anfälliger für Fehler. Stelle dir vor, eine Software wäre wie ein guter Kuchen - man braucht die richtigen Zutaten, in der richtigen Menge, sorgfältig zubereitet und gebacken. Was wir stattdessen oft bekommen, ist ein überladener Kuchen, der unter der Last seiner eigenen Zutaten zusammenbricht.
Vielleicht wäre es an der Zeit, die Einfachheit und Klarheit des 'Do one thing and do it well'-Ansatzes wieder mehr zu schätzen und damit zu lernen, uns besser zu fokussieren, anstatt immer alles auf einmal zu wollen.
Zuerst war ich verwundert, dass du den Beitrag hier veröffentlicht hast; die Überschrift schien so spezifisch auf Software abzuzielen. Doch letztlich Beschreibst du ein Symptom eines Systems. Denn was bei einer Software in Form einer "Featureitis" passiert, also einem Überladen mit Funktionen und Optionen - bei Wordpress kann ich das sehr gut nachvollziehen und habe mich schon länger davon verabschiedet -, ist bei "Hardware-Produkten" auch zu sehen - nur anders.
Nehmen wir das Beispiel Deostift: die Neutralisation von Schweißgeruch ist zur Steigerung der "Anschlussfähigkeit" an andere ein durchaus naheliegender Wunsch. Dafür eine Lösung zu entwickeln, ist eine würdige Herausforderung für Unternehmen. Aber wie viele verschiedene Lösungen sind wirklich hilfreich (für die Gesellschaft)? Sie mögen sich ja in Effektivität (Schutz hält länger oder kürzer) und Zutaten (natürlich vs künstlich) und Bedienung (Stift vs Zerstäuber) und Preis unterscheiden. Über die Zeit würde ich eine Konvergenz hin Richtung längerem Schutz mit natürlicheren Zutaten zu geringerem Preis erwarten. Und das ist es dann. Aber die Regale in der Drogerie sehen ganz anders aus. Wahnsinn, was da angeboten wird! Nicht nur wird von Hersteller zu Hersteller variiert, auch derselbe Hersteller variiert. Ein Modell des Produktes kann nicht so aufgeladen werden wie bei Software, deshalb werden viele, viele verschiedene Modelle hergestellt. Dito bei Zahnpasta oder Autos usw.
Noch schlimmer bei der Kleidung! Dort kommt die Mode hinzu.
Von Innovation kann nicht gesprochen werden. Es geht um kleine Veränderungen, die einen neuen Kaufanreiz bieten sollen. Die Veränderung verspricht Verbesserung - was aber eine Illusion ist.
Was ist hier das Problem? Das Geschäftsmodell. Und unter dem Geschäftsmodell das Weltbild, er Denkrahmen, das System.
Es gibt wenige, die ein "perfektes" Produkt erschaffen haben, das über Jahrzehnte nicht verändert werden muss, nein, sogar nicht verändert werden darf, um damit Geld zu verdienen. Beispiele: Nutella, Coca Cola, Capri Eis😁
Wer Rohstoffe fördert, muss sich wenig Gedanken machen. Das Produkt ist klar, was bleibt, ist eine Verbesserung der Förderung. Alle anderen aber sind im Wettbewerb gezwungen, am Produkt "rumzuschrauben". Irgendwie. Am besten wären Innovationen. Doch die sind so schwer zu finden. Die meisten Produkte sind schon lange gut genug (oder ohnehin unnötig). Also muss man die Illusion von Innovation, von Verbesserung erzeugen. Veränderung wird mit Verbesserung gleichgesetzt.
So wertvoll die Markwirtschaft ist, um zu Verbesserungen anzuregen, sie selbst kennt ja keine Grenze. Außerdem ist der Kundengeist unruhig. Der will mit mehr bedient werden. Deshalb springt er so leicht auf Veränderung an, auch wenn sie keine Verbesserung darstellt.
Es ist wirklich eine Kunst, ein gutes Leistungsniveau zu erreichen und dann dort zu bleiben, ohne in einen Veränderungswahn zu fallen.
Zur Ehrenrettung von Wordpress sei gesagt: Ich glaube, ein guter Teil des Problems mit WP besteht gar nicht in WP, sondern in den Plugins. Die Offenheit als Kernfeature von WP, ist WP am Ende zum Verhängnis geworden.
Auf die einzelnen Plugins kann sogar passen "Do one thing and do it well." Doch im Zusammenspiel ergibt sich Komplexität und Schwerfälligkeit der Gesamtlösung.
One-size-fits-all Lösungen, die alles selbst machen wollen, scheinen mir problematischer, zb Outlook oder MS Teams. Ich tendiere mehr zu best-of-breed. Genauso tendiere ich dazu, Produkte, die für mich gut genug sind, wieder zu kaufen, zb Schuhe von Scarpa oder Ajona Zahncreme🙄 Das Angebotsfeuerwerk im Laden ficht mich deshalb weniger an.