Die Emotion der Schuld ist nutzlos. Sie macht Geschehenes nicht ungeschehen, weil Dinge eben schon passiert sind. Da ändern Reue und Schuld einfach gar nichts daran. Es ist ein abstraktes Konstrukt, sich daran zu ergötzen, dass der Schuldige Reue zeigt und ein unfreies, von Schuldgefühlen geprägtes Leben führt. Alles andere entspräche nicht den gesellschaftlichen Werten.
Dabei trägt das Gefühl der Schuld dazu bei, sich ständig zu etwas gezwungen zu fühlen. Freie Entfaltung ist kaum möglich, wenn stets die Angst herrscht, gegen Regeln zu verstoßen. Regeln sind oft vollkommen unsinnig und müssen trotzdem eingehalten werden. Gegen sie zu verstoßen hingegen führt zur Schuld, die gesühnt werden muss.
Diese Schuldgefühle sind scheinbar überall zu finden. Die einen fühlen sich schuldig, weil sie zu viele Kalorien zu sich nehmen, andere, weil sie irgendwo im Parkverbot gestanden haben. Im zweiten Fall haben sie vielleicht nicht mal jemanden behindert. Da stand nur ein Schild. Nichts weiter. Aber es fühlt sich falsch an, weil gegen eine Regel verstoßen wurde. Der Punkt ist, dass wir uns gar nicht um die tatsächlichen Konsequenzen unseres Handelns kümmern, sondern viel mehr unreflektiert und ängstlich versuchen, Regeln zu befolgen. Verstoßen wir dagegen, sind sie da. Die Schuldgefühle.
Wie ich schon eingangs schrieb: Sie sind nutzlos. Was passiert ist, ist passiert. Daran ändern Emotionen nichts mehr. Ich kann also Schlüsse aus meinen Handlungen ziehen und versuchen, mich zu verbessern und zukünftig sorgfältiger Handeln. Mehr kann und muss ich nicht tun. Schuldgefühle sind eine Art des Rückwärtsgewandseins. Sie zermürben das Hirn und lenken vom Hier und Jetzt ab. Im Grunde sind sie ein Mittel, um sich selbst in Freiheit und Taten zu limitieren. Wie oft zermartern sich Menschen das Hirn, was sie wohl hätten besser machen können in der Vergangenheit? Wie wäre es dann gewesen? Diese Gedanken sind nutzlos. Sie bringen einfach nichts. Die pure Erkenntnis aus Fehlern zu lernen, ist etwas anderes. Sie ist nicht an die Emotion Schuld gekoppelt.
Ich habe den Eindruck, dass dies aber häufig verwechselt wird. Und wieder einmal liegen die Ursachen dieses Verhaltens in unserer Kindheit. Eltern sind in der Regel die Ersten, die uns das Gefühl der Schuld geben, wenn wir nicht nach ihren Vorstellungen handeln. In der Schule setzt sich dieses Mittel des Drucks und der Erpressung fort. Oft wird seelischer Druck erzeugt, in dem Menschen etwas vorgeworfen wird, dass sie wegen des anderen leiden, obwohl sie doch soviel für den anderen getan haben. Das löst Schuldgefühle aus und macht uns moralisch erpressbar. Im Grunde fühlen wir uns oftmals auch schuldig für Dinge, mit denen wir überhaupt nichts zu tun haben. Ich habe beispielsweise keine Schuld an den Geschehnissen des zweiten Weltkrieges. Auch wenn ich zufällig im selben Land wie nationalsozialistische Verbrecher geboren wurde, habe ich trotzdem keine Schuld und fühle mich nicht schuldig. Warum auch? Was habe ich mit dem Handeln anderer zu tun? Und erst recht, wenn Dinge geschahen, bevor ich überhaupt geboren wurde. Selbst wenn ich mich vollkommen unnötig schuldig fühlen würde, weil es jemanden gelingen würde, meine Gefühle zu manipulieren, dann würde es auch nichts an der Vergangenheit ändern.
Mir erscheint es wichtiger, alle Handlungen sorgfältig zu überdenken und das Muster und den Zweck von Schuld zu erkennen. Mit dem Wissen darüber wird es möglich, sich davon zu befreien und den Weg in die Freiheit anzutreten. Zuerst müssen wir lernen, dass die Vergangenheit unabänderbar ist. Das ist entscheidend. Auch müssen wir prüfen, ob uns das Verweilen in Problemen der Vergangenheit nicht nur dazu dient, um Dingen des Hier und Jetzt auszuweichen. Sollte das der Fall sein, ist es ratsam, das aktuelle Problem zu lösen. Zudem sollten wir aufhören zu glauben, dass wir bessere Menschen sind, wenn wir stets gefallen und die Erwartungen der anderen Genüge tun. Wir dürfen es nicht als schlimm empfinden, wenn sie nicht erfüllen. Das darf nicht zu Schuldgefühlen führen.
Schaffen wir es also, uns von der Emotion Schuld zu befreien, weil wir erkennen, dass diese vollkommen nutzlos ist, kann dies ein großer Schritt in die Selbstbefreiung sein. Wir ermöglichen uns damit quasi selbst unbeschwert in der Gegenwart zu leben.
Ich glaube nicht, dass wir von der Schuld loskommen. Sie ist ein Emotion, die das Individuum an die Gemeinschaft bindet. Das hat bis zu einem gewissen Grad Sinn, würde ich sagen. Wir müssen nicht umständlich etwas konstruieren, um zu entscheiden, was im Sinne der Gemeinschaft ist oder nicht, sondern haben eben ein Gefühl dafür.
Wie gesagt, bis zu einem gewissen Grad. Denn man kann sich auch in kontraproduktive Schuld hineinsteigern oder Schuld imaginieren oder Schuld projizieren.
Auf jeden Fall bringt Schuld ohne Reue und dann eine Idee, wie man Schuldigwerden in Zukunft vermeiden kann nichts. Reflexion tut Not. Außerdem braucht es einen Weg zurück in die Gemeinschaft, von der man durch Schuld getrennt ist. Ehrliche Reflexion muss also die Tür zum Verzeihen öffnen.
Darin scheint mir ein Fortschritt des Christentums gegenüber anderen Religionen zu liegen. Dort hat man erkannt, dass eine "Entschuldigung" wichtig ist, wenn die Gemeinschaft aus fehlbaren Menschen nicht auseinanderfliegen soll.
Gehts denn gar nicht ohne Schuld? Hm... Nein, ich glaube, das Konzept ist tief eingegraben in die Psyche. Also müssen wir damit sinnig umgehen lernen, so dass es nicht destruktiv wirkt.