Der Nationalstaat braucht eine stabile Bevölkerung. Deshalb kann er nicht daran interessiert sein, dass seine Bürger sich auf und davon machen (können). Das erreicht er unter anderem durch eine Begrenzung ihrer Nettoeinkommen. Die dürfen nur in einem Bereich liegen, der die Mobilität der Bürger auf einem niedrigen Niveau hält.
Wandert der Bürger mit steigendem Nettoeinkommen nach rechts, so steigt seine Mobilität. Er kann sich Mobilität einfach leisten. Zunächst tut er das in Form von Urlauben und bleibt damit noch im wünschenswerten Nettoeinkommensbereich. Doch steigt das Nettoeinkommen noch weiter, fängt der Bürger an zu zweifeln, ob er mit seinem finanziellen Vermögen im Nationalstaat am besten aufgehoben ist. Er macht sich dann auf, um es durch Wegzug zu optimieren.
Unternehmen tun das schon lange, Personen können das aber auch. In der EU ist es leicht, seinen Wohnsitz in ein Land mit niedrigeren Steuern zu verlegen. Ich habe das auch getan. In Bulgarien zahle ich nur pauschal 10% Einkommenssteuer, habe Sozialabgaben, die bei 500€/Monat gedeckelt sind (also max. 6000€/Jahr), und habe nur 50% der Lebenshaltungskosten von Deutschland. Meine Frau und ich sind mobil und haben unser Nettoeinkommen durch Auswanderung optimiert.
Dem Nationalstaat ist das natürlich ein Dorn im Auge. Wenn er die Nettoeinkommen nicht “strukturell” klein halten kann, muss er auf der rechten Seite eine Sperre errichten. Das tut Deutschland z.B. mit der Wegzugsbesteuerung für Bürger mit Unternehmensanteilen.
Andererseits… wessen Nettoeinkommen sinkt und sinkt, wer also nach links wandert in der Kurven, dessen Mobilität nimmt auch zu. Überschreitet die Armut ein gewisses Maß, dann flüchtet, wer noch kann aus dem Nationalstaat.1
Das ist in Deutschland noch nicht der Fall. Wie es allerdings in 10 Jahren aussieht, wenn die Altersarmut für Millionen Renter droht, wird sich zeigen. Ob sie sich dann noch die hohen Lebenshaltungskosten und die Besteuerung der Rente in Deutschland leisten können?
Derzeit flüchten Menschen nur aus anderen Ländern, in denen sie schon in der Kurve nach links gewandert sind, nach Deutschland. Bulgarien und Rumänien sind Länder in der EU, die ausbluten, weil die, die dort noch können, sich in den Westen aufmachen. Außerhalb der EU sind die Fluchtländer für Menschen mit Ziel in der EU vor allem im Orient und in Afrika zu finden.
Dass also ein Nationalstaat alles unternimmt, um möglichst vielen seiner Einwohner ein stetig wachsendes Nettoeinkommen zu bescheren, ist nicht plausibel. Sie könnten einfach auf den falschen Gedanken kommen und ihn verlassen.
Der Nationalstaat ist kein Wohltäter. Wie jede Organisation ist er auf sich bedacht. Das fällt ihm umso leichter, je deutlicher er eine Monopolstellung für seine Mitglieder hat, d.h. je immobiler sie sind.
Eine Alternative ist die Rebellion. Auch die ist nicht im Interesse des Nationalstaats. Deshalb muss er genau hinschauen, wie sich die Nettoeinkommen auf der linken Seite seines Kurvenbereichs entwickeln. Allerdings scheinen mir die Menschen eher zu flüchten, als zu rebellieren; es ist weniger risikobehaftet. Zumindest solange der Nationalstaat sie noch entfliehen lässt und woanders eine Aufnahme mit besserem Nettoeinkommen möglich scheint.
Hallo Ralf,
Du argumentierst, dass ein stetig wachsendes Nettoeinkommen zur Abwanderung großer Teil der Bevölkerung führt. Womit belegst Du diese These?
Dein persönliches Beispiel zeigt doch eher, dass Dir Dein Nettoeinkommen nicht hoch genug war und Du daher ausgewandert bist.
Auch ich habe nur ein persönliches Gegenbeispiel: Ich zahle gerne Steuern (und ähnliche Abgaben) weil ich sehe, was der Staat dafür leistet (Kindergärten, Schulen, Verkehrsinfrastruktur, Sozialsystem) und das letzte, was mich zu einem Ortswechsel treibt, ist ein zu hohes Nettoeinkommen.
Vielen Dank für diesen Gedankenstrom ;-)
Görge