Die Sharing Economy mutet wie die Quadratur des Kreises an: Der Umwelt wird geholfen, weil nicht mehr so viel produziert werden muss. Statt eine Bohrmaschine in jedem Haushalt, teilen sich 10 oder gar 100 Haushalte eine Bohrmaschine. Genauso für Staubsauger, Dekogegenstände, Outdoorbedarf, WiFi, Fahrrad, Auto, Arbeitsplatz1 uvm.
Und jedem Konsumenten wird geholfen, weil z.B. weniger Platz gebraucht wird, größere Ausgaben den Kontostand nicht mehr so einknicken lassen oder die Angst vor Diebstahl überflüssig wird.
Laut dem World Economic Forum soll dieses Kunststück schon 2030 vollbracht sein:
Und was wäre daran nicht zu mögen? Ist Eigentum denn wirklich so erstrebenswert? Eigentum verpflichtet, weiß das Sprichwort. Es ist eine Bürde. Weniger Bürde macht das Leben leichter. Und: sharing is caring! Also irgendwas mit Solidarität ist auch drin beim Teilen.
Natürlich mag ich es, wenn ich Dinge nicht besitzen muss, sondern bei Bedarf mieten kann. Vorausgesetzt, das Mieten ist bequem umgesetzt und braucht keine lange Planung. Car Sharing Angebote funktionieren wunderbar (z.B. Flinkster), Wohnungsangebote funktionieren auch wunderbar (z.B. Airbnb). Letztlich fallen Hotels und Taxis ebenfalls in diese Kategorie. Überall, wo ich den Nutzen einer Sache für begrenzten Bedarf auf Zugruf bekomme, ohne Eigentum erwerben zu müssen, steckt sharing drin. Die Sache als Dienstleistung.
Aber das hat einen Haken, glaube ich. Nein, damit meine ich gar nicht den Verlust der Privatsphäre. Die ist ohnehin schon über den Jordan. Wie viel mehr könnten wir preisgeben, wenn nun auch noch getrackt wird, wann wir was gebrauchen?
Etwas anderes trübt mir den Sharing-Frohsinn: die bargeldlose Nutzung.
Die Sharing Economy ist eine digitale Wirtschaft, auch wenn Dinge geteilt werden; die Verwaltung der geteilten Nutzung ist nur digital ökonomisch. Das ist selbstverständlich. Deshalb ist sie auch eine der bargeldlosen Transaktionen. Darin unterscheidet sie sich allerdings nicht von der heutigen Wirtschaft. Im Supermarkt mag noch mit Bargeld bezahlt werden, aber die meisten werden das meiste Eigentum, das nicht zum Verzehr bestimmt ist, heute schon bargeldlos kaufen.
Mit Eigentum an einer Sache sind bargeldlose Transaktion — Erwerb — und Nutzung allerdings getrennt. Heute gekauft… und irgendwann mehr oder weniger häufig genutzt, ohne dass es darüber eine Aufzeichnung gäbe. Ist der Kauf geschafft, ist die Sache meine. Ich habe die Kontrolle.
Anders bei der Sharing Econony. In ihr gibt es kein Eigentum mehr. Die bargeldlose Transaktion fällt mit der Nutzung zusammen. Das lässt die Zahl der bargeldlosen Transaktionen explodieren. Für eine Bohrmaschine, die ich bisher gekauft habe, gibt es nun nicht nur eine, sondern 5, 10, 50, je nach dem, wie häufig ist sie nutze. Dito für ein Auto, die Dekogegenstände, das Wifi usw. usf.
Einem Strom von Nutzungen entspricht ein Strom von bargeldlosen Transaktionen. Ich brauche ständig für jede Kleinigkeit Geld.
Wenn die Sharing-Plattformen gut gemacht sind, ist das kein Bequemlichkeitsproblem. Nein, davor muss sich niemand fürchten. Ich bin sicher, dass alles für die Bequemlichkeit getan wird, um die Akzeptanz fürs Sharing zu erhöhen.
Was damit nun aber einhergeht: die Möglichkeit der Kontrolle.
Wenn das ganze Leben aus ständigen, kleinen bargeldlosen Transaktionen besteht, kommt das ganze Leben auf einen Schlag zum Stillstand, falls die Versorgung mit Geld gekappt wird.
Ich denke nicht, dass das erst eine Gefahr ist mit Abschaffung des Bargeldes und Einführung von digitalem Zentralbankgeld. Kanada hat es vorgemacht bei der Sperrung der Trucker-Konten, dass es auch heute schon funktioniert mit normalen Bankkonten und Kreditkarten.
Die Verlockung der bequemen bargeldlosen Zahlung plus die Verlockung der entlastenden Sharing Economy entfaltet massives Kontrollpotenzial. Das ließe sehr feingranulare Eingriffe in die Nutzungsfreiheit zu, weil es nicht mehr um die seltenen Transaktionen von Eigentumserwerb ginge, sondern um die viel häufigeren Transaktionen, die Nutzungstransaktionen.2
Sharing is controlling. Deshalb sehe ich 2030 pessimistisch. Sharing potenziert die Sollbruchstellen zwischen Konsumenten und Konsumgütern. Heute liegen sie beim Erwerb. Was ich dann aber einmal habe, habe ich. Morgen liegen nach Vision des WEF jedoch bei jeder Nutzung Möglichkeiten zum Eingriff vor. Das fühlt sich nicht gut an.
Ich denke, ich werde mich deshalb in einigen Bereichen gegen das caring sharing wehren. Ein Leben ohne Bargeld ist wohl unausweichlich. Ein Leben ohne Eigentum scheint mir allerdings vermeidbar.
Possessing is controlling.
Wer nichts eignet, kontrolliert nichts — der wird kontrolliert.
Ich meine den Platz zum Arbeiten, wie er z.B. in einem Coworking Space zur Verfügung gestellt wird inkl. Geräten wie Drucker oder Bildschirm.
Das gälte auch, falls eine Sache im Abo mit monatlichen oder jährlichen Zahlungen geteilt würde. In dem Fall müsste bei jeder Nutzung geprüft werden, ob das Recht dafür noch besteht. Und das Recht könnte an eine Prüfung der Bonität gekoppelt sein. Dass Sharing-Anbieter verpflichtet werden können, nicht nur bei Abo-Abschluss, sondern auch häufiger während des Abo-Zeitraums die Bonität zu prüfen, scheint mir durchsetzbar. Alles natürlich für einen guten Zweck, z.B. gegen Terrorismus oder gegen Geldwäsche oder für Solidarität.
Mir ist noch ein weiterer Gedanke gekommen. Der Kern einer sozialen Gesellschaft sind Kommunikation, Gedankenaustausch und nicht erzwungene, sondern freiwillige Hilfsbereitschaft.
Nehmen wir das Beispiel der Bohrmaschine. Ich besitze keine, weil ich sie viel zu selten benutze. Ich habe aktuell zwei Optionen. Ich gehe zum Nachbarn und frage, ob er mir sie kurz leihen könnte und komme bei der Gelegenheit mit ihm ins Gespräch (sozialer Kontakt) oder ich frage jemanden, ob er mir behilflich sein kann. In beiden Fällen wird es eine Situation geben, wo mich der andere ebenfalls um einen Gefallen bitten wird und ich gerne aushelfe oder unterstütze.
Das ist meiner Ansicht nach das Wesen einer funktionierenden, sozialen Gesellschaft. Ich habe das Gefühl, dass genau das zerstört werden soll für noch mehr Profite.
Für mein soziales Verhalten und den Platz in der Gemeinschaft ist es schon ein gravierender Unterschied, ob ich mit echten Menschen persönlich kommuniziere, helfe oder Hilfe erhalte, oder ob mir eine anonyme Drohne die Bohrmaschine liefert.
Ich gestehe, dass ich schon seit Jahren intensiv bargeldlose Transaktion mit dem Handy nutze. Ich habe also diese vielen kleinen Transaktionen: einen Kaffee hier, einen Snack dort usw.
Natürlich weiß ich, dass ich dort in die Bequemlichkeitsfalle getappt bin. Wenn ich das Haus verlasse, brauche ich keine Geldbörse einstecken, die ich verlieren könnte, sondern nur mein Mobile Phone und den Schlüssel. Die Bequemlichkeit hat gesiegt.
Auch finde ich den Gedanken, weniger zu besitzen und zu horden, vollkommen unabhängig von der Ideologie des WEF für mich sehr interessant. Weil es genau das ist, was mir Freiheit und Flexibiliät gibt. Ich muss an keinem festen Ort leben, sondern da wo es mir gerade gefällt. Verschlägt es mich an einen anderen Ort, brauche ich keinen Umzugscontainer, sondern Rucksack mit Macbook und einen Koffer mit paar Klamotten. Ich nenne das Minimalismus, in dem ich mich zumindest übe. Ich war wohl vorher das Gegenteil.
Ich bin mir aber absolut bewusst, dass es auf mich aktuell zutrifft (also temporär) und ich gerne die Erfahrung machen und wissen möchte, wie das ist. Der Großteil der Menschen wird damit nichts anfangen können und gerne Dinge besitzen wollen. Was vollkommen in Ordnung ist. Vielleicht ist das in ein paar Jahren auch bei mir wieder so. Momentan verspüre ich aber den Drang nach Flexibiliät.
Der Unterschied zur Ideologie der selbsternannten Weltverbesserer des WEF besteht aber daran, dass es sich um ein individuelles Bedürfnis handelt. Es ist nichts, was allen übergebügelt werden sollte bzw. darf.
Ich glaube auch nicht, dass es den großen Industrien darum gehen wird, weniger zu produzieren. Das steht im Widerspruch zur Natur des Kapitalismus. Sie werden weiter produzieren, aber eben diktieren, was verfügbar ist und was nicht. Ein gutes Beispiel sind Autovermietungen. Die Haltedauer eines Autos dort beträgt vielleicht ein Jahr. Man kann quasi nur neue Autos mieten. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie dann 10 Jahre alt werden. Der entscheidende Punkt ist, dass wir dann auf das Angebot der Anbieter beschränkt sind und nicht mehr selbst entscheiden können, welches Modell wir bevorzugen.
Ich bin bei dir, dass vor allem die Vorstellung, dass das WEF zukünftig immer mehr Einfluss auf das Geschehen nehmen wird und damit Entscheidungen vor allem im Interesse von Großkonzernen und milliardenschweren Investoren getroffen werden, einen eher pessimistischen Ausblick in die Zukunft gibt. In dem Moment wird der Großteil der Menschen noch mehr zu abhängigen Sklaven, als sie es ohnehin schon sind. Dann sind sie nur noch eine konsumierende, permanent kontrollierte ID im totalitären System der Mächtigen.