Inspiriert von Ralfs gestrigen Artikel mit dem Titel “Generation Weihnachtskugel”, den ich für unbedingt lesenswert halte, werde ich mich heute dem Thema Wettkampf und Leistung widmen. Die Metapher “Weihnachtskugel” betrachte ich für einen Teil unserer Gesellschaft sehr treffend, weshalb ich sie nicht zwingend einer Generation zuordnen würde. Ich glaube vielmehr, dass diese Art zerbrechlicher Mensch schon lange “gezüchtet” und geformt wurde. Vieles hat eben dabei mit fehlendem Wettbewerb zu tun.
Ralf schreibt:
Das Leben besteht aus Hindernissen, Konflikten, Ablehnung, Misserfolgen, Unfällen, gar Schäden. So ist das mit dem Leben.
Mit anderen Worten: Nicht alles im Leben wird immer glattgehen. Es wird Höhen und Tiefen geben. Manchmal bist du der Gewinner und ein anders Mal eben der Verlierer. Im Leben, im Wettkampf oder auch im Spiel.
Als ich vor einigen Jahren mit Bekannten in einer kleinen Runde eines Abends zusammen saß, um Spiele zu spielen, benannte ich am Ende der Spielrunden die Plätze der Spielteilnehmer; nämlich vom Gewinner bis hin zum Verlierer. Schnell wurde ich von einer Teilnehmerin (sie war, wenn ich mich richtig entsinne, Studentin der Soziologie) berichtigt, dass man die Verlierer nicht benennt. Es gibt nur Platz 1 bis 3 und alle weiteren sind Vierter. Ah, ja!
Ich empfand diese Denkweise amüsant, aber gleichzeitig auch etwas beängstigend. Natürlich tue ich bis heute den Teufel, plötzlich keine Rangliste bis hin zum Verlierer eines Wettbewerbs klar zu benennen.
Was ich allerdings in dieser Art des Denkens entdecke, ist die Abwendung von klarer, aufrichtiger Sprache und der ehrlichen Benennung von Rangfolgen auf Basis von Resultaten. Es geht dabei eben nicht nur um ein belangloses Spiel in einer kleinen Runde von Freunden oder Bekannten, sondern um den Spiegel der Gesellschaft in unterschiedlichen Bereichen.
Ich glaube nämlich, dass Wettbewerb förderlich ist, um sich zum einen stetig selbst zu verbessern und auf der anderen Seite die Voraussetzung für Fortschritt im Allgemeinen.
Mich jedenfalls hat es in der Vergangenheit eher beflügelt, wenn ich beispielsweise aus einem sportlichen Wettkampf als Verlierer herausgegangen bin. Ich wusste danach, ich muss intensiver und konzentrierter trainieren und an mir arbeiten, um besser zu werden. Der Ehrgeiz war geweckt, um zu kämpfen und keinesfalls wieder als Verlierer aus dem nächsten Wettkampf hervorzugehen, sondern mich nach vorne zu kämpfen, um irgendwann auf dem Siegertreppchen zu stehen. Das funktioniert auch, erfordert aber Kampfgeist und Eigeninitiative.
Mal zu verlieren, ist demnach eine Art Motivator und nichts Schlimmes. Mir hat es stets geholfen, vorwärtszukommen und besser zu werden. Natürlich kann die Erkenntnis daraus durchaus auch sein, dass es vielleicht nicht die richtige Sportart (oder was auch immer) für mich ist. Auch diese Gewissheit ist bedeutsam, weil ich dann weiß, dass ich keine Lebenszeit in Dinge verschwenden muss, die mich am Ende nicht vorwärtsbringen werden. Damit wird das Verlieren zum Gewinn.
Was allerdings in den letzten Jahren gesellschaftlich produziert wurde, ist das Gegenteil von Wettbewerb. Es soll keine Verlierer mehr geben. Wie schon beschrieben, wird es die Entwicklung hemmen und die Arbeit an sich selbst keinesfalls fördern. In Wettbewerben unterschiedlicher Art soll auf einmal jeder einen Preis erhalten, unabhängig von der erbrachten Leistung. Dieses Muster brennt sich ein. "Ich muss keine Leistung erbringen, um etwas zu erhalten." Gleichzeitig demotiviert es auch die Gewinner, wenn besondere Leistungen nicht mehr entsprechend honoriert werden.
Ich hatte im beruflichen Umfeld ein für mich sehr erkenntnisreiches Erlebnis. Ich war zu diesem Zeitpunkt als Lead Developer in einem großen Konzern eingekauft und arbeitete mit einem kleinen, sehr guten Team an einer Lösung. Wie es nun oft so ist, wollte die Projektleitung den Prozess durch weitere Entwickler beschleunigen und hatte wohl einfach freie Ressourcen im Konzern zur Verfügung. Ich bekam also neue Entwickler ins Team und unter anderem einen, der offensichtlich Zeit seines Lebens nur unauffällig mitgeschwommen ist, ohne je eine fehlerfrei funktionierende Software-Komponente an den Start bekommen zu haben. Ich nahm mir die Zeit, mit ihm zu sprechen und ihm die Arbeitsweise und meine Erwartungen klar zu machen. Er nickte gefällig. Nach drei Tagen Pair-Programming und intensiver Beschäftigung mit dieser einen Person, war ich wirklich verzweifelt, weil ich wusste, dass es keinen Erfolg geben wird und ich natürlich nicht auf Dauer soviel Zeit und Energie aufbringen konnte, um einem wenig auf Lösung orientierten Menschen mit durchzuschleifen. Ich sprach sehr offen mit den Projektmanagern, um die Situation zu schildern. Sie hatten Verständnis dafür und wollten den Projektfortschritt auf keinen Fall gefährden. Mein Vorschlag bestand darin, dass wir uns mit dem Kollegen zusammensetzen und offen darüber sprechen. Das wollten sie keinesfalls. Sie fürchteten vor allem den Gesichtsverlust der Person. WTF?! Er bringt keine adäquate Leistung und sie sind ausschließlich um den Gesichtsverlust besorgt? Nun, der Lösungsvorschlag der Projektleitung bestand darin, ein anderes Projekt für den Mitarbeiter zu finden und ihn dorthin zu loben. Ja, richtig gelesen! Hinzuloben. Man würde ihm sagen, dass er unbedingt an anderer Stelle im Unternehmen gebraucht werden würde. Das ist nicht nur unehrlich, sondern auch für die betreffende Person überhaupt nicht hilfreich. Wie soll er seine Defizite jemals erkennen, wenn er nie direkt darauf hingewiesen wird? Die Möglichkeit der Weiterentwicklung wird ihm genommen, weil fehlende Leistungsfähigkeit und Kenntnisse nicht benannt, stattdessen eine Lobesgeschichte erfunden wird, um den Gesichtsverlust zu vermeiden.
Es ist schon viele Jahre her, aber zeigt den Weg, den wir als Gesellschaft ohne echten Leistungsbezug eingeschlagen haben. Dieser Weg hat dazu geführt, dass wir durch diese Unaufrichtigkeit und die fehlende Benennung von schlechten oder ungenügenden Leistungen zu einer Gesellschaft verkommen sind, die nicht mehr in der Lage ist, Unterschiede auszuhalten. Menschen meinen inzwischen reflexartig, dass zwingend alle gleich sein und behandelt werden müssten. Das ist allerdings das Gegenteil von Gerechtigkeit, Motivation und Fortschritt. Bessere Leistungen und Ergebnisse müssen belohnt werden. Das ist gerecht! Es ist aber nicht gerecht, wenn schlechte Leistungen dieselbe Entlohnung oder Anerkennung bekommen wie herausragende. Vor allem dient es auch nicht den Schwächeren, sich aufzuraffen, um sich zu weiterzuentwickeln und an sich zu arbeiten. Diese Möglichkeit wird ihnen einfach genommen.
Die progressive Einkommenssteuer ist übrigens ein hervorragendes Beispiel, wie in dieser Gesellschaft Leistungsträger und Macher abgestraft und ggf. auch demotiviert werden. Auch mit einem fixen Steuersatz würden sie bei höheren Gewinnen mehr in die Gemeinschaft einzahlen. Progressive Steuersätze sind nicht nur ungerecht, sondern bestrafen Menschen, die dem Leistungsprinzip folgen.
Wir brauchen Unterschiede und wir benötigen Wettbewerb, um uns weiter entwickeln zu können. Jeder hat Schwächen und Stärken und es ist gut, an den Stärken zu arbeiten. Das bedeutet aber, man muss aktiv selbst etwas tun. Es die Aufgabe jedes Einzelnen: ein Leben lang.
Zufriedenheit und Glück sind Dinge, die sich jeder selbst erarbeiten kann und muss. Es ist weder die Aufgabe der anderen, der Gesellschaft oder des Staates. Diese können maximal einen Rahmen dafür bieten. Machen muss aber jeder selbst.
Soetwas wie mit dem Nichtskönner im Team hab ich in Vorstellungsgesprächen erlebt. Ich habe immer einige Aufgaben gestellt - und regelmäßig für alle Parteien erkennbar schlechte Ergebnisse gesehen. Ich habe das nicht kritisiert, aber gefragt, wie das zur Selbstbeurteilung passt, die ich vor dem Gespräch erbeten hatte. Dort hatten sich alle regelmäßig die Noten 1 u 2 in den erfragten Bereichen gegeben. Die Reaktionen reichten am Ende von Weinen bis zur trotzigen Replik „Soll ich Ihnen jetzt auch mal eine schwierige Frage stellen?“😳😯
Das Hauptproblem war aber nicht die mangelhafte Leistung, sondern die Unfähigkeit, darüber zu reflektieren.
Und noch eines ist mir eingefallen: Es werden bei der Gleichmacherei zwei Dinge vermischt. Das ist nie gut:
1. Unterschiede
2. Urteil
Die Unterschiede sind objektiv: der eine hat seine Figuren eher im Haus als der andere, der eine läuft schneller als der andere, der eine hat einen Penis u mehr Muskelmasse u die andere keinen u weniger. Ist halt so.
Wie werden diese Unterschiede aber beurteilt? Ist das Urteil auf die Sache gerichtet u es folgt ein Korrekturvorschlag? Od ist das Urteil persönlich u ist eine Kritik?
Bei der Korrektur gehts um „du hast…“, bei der Kritik um „du bist…“.
Ich bin dabei, wenn man sich gegen Kritik wendet. Wer beim Spiel verliert, ist kein schlechter Mensch, nicht minderwertig od so.
Aber wenn auch ein Sachurteil ausbleiben muss, dann gehts für mich zu weit. Dann gibt es keine Veränderungsimpulse mehr. Das ist der Gesellschaft nicht zuträglich.